Ein Abendblatt-Redakteur über einen seltsamen Diebstahl, einen unglaublichen Fund und den Nervenkrieg mit einem Unbekannten

Hamburg. Wer nachts den Bolzenschneider an ein Fahrradschloss ansetzt, sollte einen juristisch einwandfreien Grund dafür vortragen können, falls denn die Polizei vorbeikommt. Ich hatte immerhin einen guten Grund: Das fremde Schloss sicherte mein Fahrrad. Ich habe es zurückgeklaut. Trotzdem war es gut, dass die Polizei nicht vorbeikam. Sie hätte Einwände gehabt.

Doch von Anfang an: Ich hatte es geschenkt bekommen, und es war ein Rad, das man bedenkenlos auf der Straße lässt. Mindestens 20, vielleicht 30 Jahre alt, Dreigang-Nabenschaltung, Rücktrittbremse, rostig und unansehnlich, aber gut zu fahren. "So etwas klaut keiner" - dachte ich und kam gar nicht erst auf die Idee, die Rahmennummer zu notieren oder etwas Stabileres als das plastikummantelte Spiralschloss anzuschaffen. Und wenn am Baumschutzbügel kein Platz mehr war, wurde eben nur ab-, aber nicht angeschlossen.

Nach dem Urlaub war es plötzlich weg. "Wer ist denn so blöd?", war der erste Gedanke. "Ärgerlich ist es doch", der zweite. Immerhin hatte ich Reifen und Schläuche vor Kurzem erneuert. Eine Strafanzeige kam mir nur kurz in den Sinn. Zu viel Aufwand für - vielleicht - ein paar Euro von der Versicherung. Drei Wochen später und zwei Tage nachdem ich ein neues Fahrrad gekauft hatte, war das alte wieder da. Nicht weit von der Stelle entfernt, an der es verschwunden war, lehnte es an einem Baumschutzbügel - angeschlossen mit einem fremden Schloss. Der Sattel tiefer gesetzt, die Kette geschmiert, aber unverkennbar meins. Ich brauchte es nicht mehr, aber jetzt wollte ich es zurück.

Dumm nur, dass die Polizei da gar nichts für mich tun konnte. Keine Rahmennummer bekannt, keine Anzeige erstattet, kein Foto von mir mit Rad - ich konnte den Beamten nicht beweisen, dass es meins ist. Amtliche Sicherstellung unmöglich. Es begann ein innerer Kampf: Sollte ich Selbstjustiz üben? Dagegen sprach die Überzeugung, dass doch kein Fahrraddieb so dummdreist sein würde, seine Beute nahe dem Tatort öffentlich auszustellen. Es könnte ja sein, dass das Rad verkauft worden war - an jemanden, der zufällig dort wohnt. Die Lösung: neues Schloss kaufen, Fahrrad ebenfalls anschließen, eine Nachricht hinterlassen. Es folgte ein Nervenkrieg mit einem unbekannten Gegner. Man hätte Kontakt aufnehmen, man hätte sich mit mir einigen können, doch niemand nahm Kontakt auf. Die Nachricht verschwand, die Schlösser blieben, meins und das andere.

Schließlich war ich überzeugt: Da hat einer ein schlechtes Gewissen. Er will aber nicht aufgeben. Für mich kam das auch nicht infrage. Wer geht schon gern regelmäßig an seinem geklauten Fahrrad vorbei? Eines Nachts setzte ich - leicht schuldbewusst - den Bolzenschneider an und brachte das Rad aus der Gefahrenzone. In der Stadt fahre ich jetzt mit dem neuen.