Immer mehr Unternehmen zieht es in das Riesenreich. Die Wachstumsaussichten sind gigantisch, doch die Bürokratie bereitet Probleme.

Hamburg. Andreas von Froreich trägt wie so oft seine schwarze Mütze auf dem Kopf. Schwarze Jeans, Sweatshirt und klobige Schuhe vervollständigen sein Outfit. Etwas ungewöhnlich für einen Unternehmer. Allerdings verdient der 50-Jährige sein Geld auch mit extravaganten Dingen: Feststoffcola, also Colabonbons mit Koffein und ein ebenfalls ziemlich wach machendes Chili-Cola-Getränk sind einige seiner Erfindungen rund um die Marke Cola Rebell. Passenderweise sind auch seine Produkte schwarz verpackt.

So mutig von Froreich seit der Firmengründung vor zwei Jahren der weltweit bekanntesten Marke Coca-Cola die Stirn bietet, so unerschrocken betritt der Freund des Erfinders der Comicfigur Werner, Rötger Feldmann, jetzt einen neuen Markt: Schon bald werden die Hamburger Cola-Produkte in den großen russischen Supermärkten neben dem Wodka in den Regalen stehen. "Die Russen mögen Marken aus Deutschland", ist sich von Froreich sicher. Die in Russland mit zusammen gut 85 Märkten stark vertretenen Handelskonzerne Metro und Real haben Interesse an seinen Getränken und Bonbons angemeldet. Ein Glücksfall für das noch junge Unternehmen mit Sitz in der Nähe des Hamburger Flughafens.

+++ Zehntausende Russen bieten Putin die Stirn +++

Wegbereiter für von Froreich auf dem Weg in den Markt, der mit bürokratischen Unwägbarkeiten, schlechter Logistik und Korruption als risikoreich gilt, ist Lutz Jürgensen. Der Hamburger ist sein halbes Leben lang zwischen St. Petersburg und Hamburg unterwegs gewesen, geht mit den russischen Oligarchen Eisfischen und Schneemobilfahren und kennt auch Wladimir Putin bereits seit Jahrzehnten. Früher arbeitete Jürgensen für Firmen wie Tchibo und Otto, fand auch für diese Hamburger Handelsunternehmen Wege in den sich entwickelnden Markt. Heute betätigt er sich als Unternehmensberater, spricht fließend Russisch und nutzt seine Kontakte zu den Geschäftspartnern im Osten. "Die Region birgt ungeheure Chancen", sagt Jürgensen. Allein Moskau biete einen Markt von mehr als 14 Millionen Einwohnern. "Dazu kommen landesweit noch einmal elf Millionenstädte mit immer mehr Menschen, die sich etwas gönnen wollen und zu westlichen Waren greifen", wirbt der 67-Jährige für die Region, die sich von Westen bis Osten über eine Länge von 9000 Kilometern erstreckt.

Der wachsende Wohlstand beflügelt die Bedeutung Russlands für etliche deutsche Unternehmen: Im ersten Quartal 2012 war Russland der Tophandelspartner Deutschlands im Ostgeschäft und löste damit Polen ab. Der deutsche Handel mit Russland erreichte in diesem Zeitraum ein Volumen von 19,5 Milliarden Euro - das ist ein Plus von 15,9 Prozent. Die deutschen Ausfuhren nach Russland legten um 17,5 Prozent zu und erreichten einen Wert von über 8,6 Milliarden Euro. Deutschland importierte aus Russland Waren im Wert von knapp elf Milliarden Euro - zum Großteil Erdöl und Erdgas.

"Bis vor ein paar Wochen habe ich beim Stichwort Russland nur an Putin mit nacktem Oberkörper und an die Perestroika gedacht", sagt Cola-Unternehmer von Froreich. Dass er die Expansion seiner Marke, die er in mehr als 20 Ländern hat schützen lassen, in Russland beginnt, ist allerdings kein Zufall: Die wohlhabenden Russen lieben ein ausschweifendes Klub- und Nachtleben, auch nachts um zwei Uhr sind Staus in Moskau keine Seltenheit, die Menschen sind unterwegs und vergnügen sich. Was passt besser zu diesem Lebensstil als ein trendiger Wachmacher, fragt von Froreich rhetorisch.

Attraktiv für Lebensmittelhersteller, die sich in Deutschland mit dem Preisdiktat der Discounter und eher kostenbewussten Verbrauchern auseinandersetzen müssen, ist auch die Rendite in Russland: Die Preise in den Supermärkten liegen bei den westlichen Produkten um rund 15 bis 20 Prozent höher als in Deutschland. Nicht umsonst hat Wirtschaftsvermittler Jürgensen auch schon Marken wie Granini, Melitta oder den österreichischen Weinanbieter Lenz Moser auf dem Weg in den russischen Handel begleitet. Zum Vergleich: Der Rot- und Weißwein der Österreicher erzielt in St. Petersburg Preise von acht bis zwölf Euro, steht in deutschen Geschäften aber für die Hälfte des Preises im Regal.

Ähnlich dürften die Erfahrungen sein, die Tchibo in den Supermärkten der ehemaligen Sowjetunion macht. Der Hamburger Konzern bietet dort Kaffee an und ist mit der Entwicklung seines Geschäftes "sehr zufrieden", sagt Unternehmenssprecher Andreas Engelmann dem Abendblatt.

Mit dem zunehmenden Wohlstand der Mittelschicht, die sich allmählich nicht mehr nur Ladas, sondern auch westliche Fahrzeuge leistet, wächst auch die Palette der Einkaufsmöglichkeiten: Die Hamburger ECE, Entwickler und Betreiber von Einkaufszentren, hat bereits ein Center in Moskau gebaut und plant derzeit einen weiteren Shoppingtempel: Er entsteht in der 600 000-Einwohner-Stadt Jaroslawl und wird 250 Fachgeschäfte bieten. Für Unterhaltung beim Geldausgeben werden ein Foodcourt, eine Bowlinganlage und ein Multiplexkino sorgen.

+++ Putin fehlt Vision für Russland +++

Auch der ebenfalls zur Otto-Familie gehörende Handelskonzern, der weltweit größte Versandhändler Otto, ist in Russland aktiv und mit dem Geschäft in dem gut 140 Millionen Einwohner zählenden Land sehr zufrieden. "Wir haben in Russland eine hervorragende Mannschaft und sehr erfolgreiche Konzepte", sagt Alexander Birken, der als Vorstand bei der Otto Group für Russland zuständig ist. In dem wachstumsstarken Zukunftsmarkt sei Otto mit den Marken Bonprix, Otto, Witt sowie NaDom, Meggy Mall Health & Beauty und Promenad bereits heute Marktführer im Distanzhandel. Die Umsätze in Russland hätten 2011 ein "sensationelles Wachstum von 34 Prozent" zum Vorjahr verzeichnet und erreichten eine halbe Milliarde Euro. "Und ich bin zuversichtlich, dass wir auch in den nächsten Jahren schneller wachsen als der ohnehin sehr dynamische Markt", sagt Birken.

Von einigen Hürden auf dem Weg zum russischen Verbraucher weiß indes Matthias Schweifel zu berichten. Der Inhaber der Firma Foodforgermany ist seit Oktober 2011 damit beschäftigt, seine Kontakte nach Russland auszubauen und stöhnt über eine Unmenge an Bürokratie. In diesen Tagen wird die erste Lieferung seiner Bonbons, Lollis und Weingummis nach Moskau gehen, so lange musste er sich mit Zertifikaten, dem Zoll und Registrierungen herumschlagen. "Sie müssen eine Menge anderer Geschäfte machen, um das durchzustehen", sagt der Unternehmer aus der Nähe von Lüneburg. Die erste Lieferung habe einen Wert von 20 000 Euro. "Aber wenn unsere Produkte gut ankommen, können wir für mehrere Hunderttausend Euro liefern, der Markt ist riesig", beschreibt Schweifel die Perspektiven in der Region.

Auch Russland-Experte Jürgensen ist sich sicher, dass das Land auch in Zukunft große Chancen bieten wird. Bisher sind 6300 deutsche Unternehmen dort vertreten, mit steigender Tendenz. Und Jürgensen investiert nach wie vor viel Zeit in seine Kontakte: Nach dem Gespräch mit dem Abendblatt ist er schon wieder auf dem Sprung nach St. Petersburg. Dort hat er inzwischen sogar seinen zweiten Wohnsitz.