Konkurrent Berlin gewinnt an Attraktivität bei Firmen. Und die Suche nach Fachkräften wird in der Wachstumsbranche immer schwieriger.

Hamburg. Auf den ersten Blick wirkt Heiko Hubertz, 35, im legeren Hemd, mit seinem kurzen Raspelhaarschnitt und dem jungenhaften Lächeln nicht wie ein millionenschwerer Manager. Doch der Chef des Spieleentwicklers Bigpoint mit Sitz in der Nähe der Staatsoper hat es geschafft, seine Firma hat ihn zu einem der reichsten Internet-Unternehmer der Republik gemacht. Hubertz zieht in Kalifornien dieselbe Erfolgsstory gleich noch einmal durch; die gut 700 Bigpoint-Mitarbeiter in Hamburg bekommen täglich neue Kollegen in den USA, mit denen sie in Videokonferenzen Ideen für Internet-Spiele diskutieren. Hubertz kennt die digitale Szene in Deutschland. Er referiert vor US-Studenten an der Stanford University über das Unternehmertum und hatte kürzlich einen Termin bei Angela Merkel - die Kanzlerin wollte sich darüber informieren, ob die Internet-Firmen denn auch mit dem Standort Deutschland zufrieden sind.

Mit diesen Erfahrungen im Rücken sprach Hubertz jetzt im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten über die Startbedingungen der für die Zukunft der deutschen Wirtschaft so wichtigen Gründer, ob sie genügend Kapital, Fachkräfte und gesellschaftliche Unterstützung bekommen. Und er zog dabei eine Bilanz, die Hamburg zum Nachdenken zwingen dürfte: Die Hansestadt laufe Gefahr, von Berlin abgehängt zu werden, so Hubertz. Der Sog, den die Hauptstadt auf Kreative ausübe, die günstigen Mieten in den Szenestadtteilen Mitte oder Kreuzberg und die auch sonst niedrigeren Lebenshaltungskosten würden in der internationalen Gründerszene als immer attraktiver empfunden. Und der Hamburger Investor Christian Leybold von eVenture Capital Partners sagt es noch deutlicher: "Hamburg kann mit anderen internationalen Metropolen durchaus mithalten - außer mit Berlin." Die Hauptstadt habe es geschafft, als Trendsetter angesehen zu werden und sich zu einem neuen Zentrum zu entwickeln.

+++ Bigpoint drängt nach Paris, London und Madrid +++

Während die beiden norddeutschen Metropolen immer heftiger um Firmenansiedlungen konkurrieren, feiert in diesen Tagen das Online-Netzwerk Hamburg@work sein 15-jähriges Bestehen. Die Wirtschaftsförderer der Internet-Branche sind sich bewusst, dass die Hansestadt im Wettbewerb mit internationalen Gründermagneten wie Berlin agieren und nicht nur reagieren muss. "Das Umfeld für Gründer wird in Hamburg aktiv weiterentwickelt. Erst letztes Jahr wurde die Innovationsstarter Hamburg GmbH - ein Fonds miteinem Volumen von zwölf Millionen Euro - ins Leben gerufen", sagt Esther Conrad, Bereichsleiterin Medien und IT bei Hamburg@work. Zudem sei ein eigenständiges Amt für Medien im Rathaus geschaffen worden, betont dessen Leiter Carsten Brosda.

Die Wirtschaftsförderung wappnet sich mit diesen Weichenstellungen für die digitale Zukunft - eine Zeit, in der mehr und mehr Menschen ihre Bücher und Reisen im Internet bestellen werden sowie Tickets über das Handy ordern - und damit für eine Gesellschaft, in der Internet-Wirtschaft eine deutlich größere Bedeutung haben wird.

Dabei hat sich die Rolle der Branche im vergangenen Jahrzehnt schon stark gewandelt: Seit 2001 ist die Zahl der Hamburger IT-Unternehmen pro Jahr durchschnittlich um knapp sieben Prozent auf nunmehr 9000 gestiegen. Größter Wachstumsmotor der Branche sind die Multimedia-Dienstleister, deren Anzahl seit Ende 2004 durchschnittlich um fast 13 Prozent pro Jahr gestiegen ist. Zu den bekanntesten Agenturen in diesem Bereich gehört die SinnerSchrader Aktiengesellschaft mit Kunden wie TUI, Rewe und Bosch; die IBM Interactive Division aus Hamburg ist nach ihrem Umsatz die zweitgrößte Web-Agentur in Deutschland.

Und die Hamburger IT-Branche wächst weiter. Allein die Spieleanbieter wie Bigpoint oder InnoGames dürften in diesem Jahr noch einmal 500 neue Arbeitsplätze schaffen, sagt Stefan Klein vom Branchennetzwerk gamecity:Hamburg. Garanten für ein weiteres Wachstum der Multimedia-Dienstleister, Online-Händler oder App-Entwickler sind Branchennetzwerke, die den Austausch mit anderen Gründern und Experten ermöglichen, aber auch die Nähe zu Kunden und ein vielseitiges Studienangebot. Und Unternehmer, die zu dem Standort an der Elbe stehen: "Berlin mag vielleicht mehr Hype generieren. Aber Hamburg bietet einfach kompetentere Mitarbeiter: Hier finde ich immer wieder die besseren Entwickler und auch erfahrene Internet-Manager", sagt Stephan Uhrenbacher, Gründer von Qype.com und 9flats.com.

"Die Stärke Hamburgs ist, nicht Berlin zu sein", ergänzt Wolfgang Macht, Vorstand der Firma Netzpiloten. "Ich lebe und arbeite in beiden Städten und kann nur sagen, es ist eine Freude, in Hamburg Unternehmer zu sein und eine ,Firma' zu haben. In Berlin habe ich ,Projekte'." Hamburg pflege vorbildliche Nachhaltigkeit und habe die Handelskompetenz der Stadt insE-Commerce-Zeitalter gebracht.

Sven Külper, Co-Gründer von myTaxi, ist ebenfalls zufrieden mit dem Firmensitz Hamburg: "Die Stadt bietet für uns eine ideale Infrastruktur - nicht nur, was den Taximarkt angeht." Einen Tunnelblick hat Külper aber nicht: "Wir verschließen uns nicht gegenüber anderen Gründermetropolen. Mittlerweile ist myTaxi an neun Start-up-Hochburgen wie Berlin, München, Frankfurt und Barcelona vertreten."

So dynamisch sich das Wachstum der Branche fortsetzt, so offensichtlich zeigt sich in den personalintensiven Firmen der Mangel an Nachwuchs. Klaus Täubrich, Geschäftsführer von TVzweinull: "Es muss alles getan werden, damit die Stadt attraktiv wird für Studierende im Bereich Technologie und Nachwuchskräfte."

Selbst einer der größten Arbeitgeber der Stadt, die Otto-Group, die inzwischen mehr als die Hälfte ihres Umsatzes im Internet erzielt, spürt hier einen Engpass. Lars Finger: "Wir müssen die Förderung von E-Commerce-Studiengängen und Weiterbildungsangeboten für Berufstätige vorantreiben, damit wir auch in Zukunft ausreichend qualifizierte Fachkräfte haben. Schon jetzt ist das manchmal ein Problem", sagt der E-Commerce-Leiter von Otto.

Um die Zukunft der Firmen, die vor gut zehn Jahren schon einmal mit zahlreichen Pleiten und Massenentlassungen Negativschlagzeilen machten, müssen sich junge Bewerber heute weniger Sorgen machen, sind die Protagonisten der Branche überzeugt: Die Unternehmen agieren mit einer höheren Ertragskraft als zur Zeit der Dotcom-Blase. Auch Hubertz glaubt an die Branche, er hält Facebook-Aktien im Wert einer Immobilie in Hamburg. "Und ich binsicher, dass der Wert weiter steigt."