KTG Energie will Geld für neue Biogasanlagen einsammeln. Kritik von Greenpeace. Erster deutscher Börsengang im Jahr 2012.

Hamburg. Siegfried Hofreiter dürfte in den 1990er-Jahren zu den Menschen gehört haben, über die Ostdeutsche als "Besserwessis" schimpften. Er rollte mit seiner West-Limousine über die Kopfsteinpflasterstraßenin der ehemaligen DDR, versehen mit einem vermeintlichen Wissensvorsprung. Und auch Hofreiter kam damals nicht nur aus Neugier zu den neuen Nachbarn. Er wollte Geschäfte machen und kaufte gemeinsam mit seinem Bruder ein paar Hektar Land in Oranienburg: Die beiden Söhne eines Bauern aus der Nähe von München nutzten die günstigen Flächen, um Bio-Eier zu produzieren. "Biolebensmittel gab es damals praktisch nur im Reformhaus", erinnert sich Hofreiter. "Aber ich hatte das Gefühl, dass daraus ein großer Trend wachsen würde."

Der Bayer, der heute leger in rotweiß-blau kariertem Hemd in seinem Hamburger Büro sitzt, hat recht behalten. Und er hat seine Chancen genutzt: Heute gehört der 50-Jährige zu den wichtigsten Spielern in der deutschen Landwirtschaft. Er ist Vorstandschef der KTG Agrar - das Unternehmen logiert einen Steinwurf von der Binnenalster entfernt und besitzt 35 000 Hektar Land rund um die Keimzelle der Bio-Ei-Produktion im brandenburgischen Oranienburg. Die KTG Agrar ist damit das Unternehmen mit den größten Ackerflächen in ganz Westeuropa und erreicht in diesem Jahr einen Umsatz von rund 150 Millionen Euro.

Noch immer nutzt die Firma die Hälfte ihres Landes für Biolebensmittel, bei ökologischen Früchten ist die KTG Agrar - gemessen an der Anbaufläche - europäischer Marktführer. Aber Hofreiter, der Trendsetter, setzt längst schon wieder auf einen neuen Wachstumszweig: Die KTG versorgt nicht nur Bäckereien mit Biogetreide, baut Raps und Mais als Futterpflanzen an und beliefert die großen Handelsketten mit Biogemüse, sondern sie zählt heute auch zu den drei größten Produzenten von Biogas in Deutschland. In diesen Tagen bringt Hofreiter die Biogas-Tochter seines Konzerns, die KTG Energie, an die Börse (siehe Beistück).

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"Die wachsende Weltbevölkerung und der Umstand, dass die Agrarflächen begrenzt sind, erfordern eine immer professionellere Bewirtschaftung des Ackerlandes", argumentiert Hofreiter für seinen Agrarkonzern, der in der häufig noch familiär organisierten Landwirtschaft Deutschlands eine Sonderstellung innehat. Zugleich bringe die zunehmende Verstädterung einen steigenden Energieverbrauch mit sich - ein Bedarf, den Deutschland nach der Energiewende mehr und mehr mit Strom aus regenerativen Quellen zu decken versucht. "Bei uns laufen beide Trends zusammen", wirbt Hofreiter für die KTG: "Wir decken die wachsende Nachfrage nach Lebensmitteln genauso ab wie jene nach alternativ erzeugter Energie."

Um die entsprechenden Mengen produzieren zu können, hat die KTG in den vergangenen Jahren noch weiteren Grund und Boden in Litauen erworben. In ihrer flächenmäßigen Ausdehnung wird die KTG damit heute nur nochvon einigen Konzernen aus der Ukraine übertroffen, die zum Teil 300 000 Hektar bewirtschaften. Der Hunger auf Land ist ohnehin ein weltweites Phänomen: Weil die Bevölkerung und der Wohlstand in Schwellenländern wachsen, die Flächen aber nicht zunehmen, kaufen immer mehr Investoren Ackerland vor allem im Ausland. Der Zukauf von Agrarland soll sich seit 2008 von vier Millionen auf 45 Millionen Hektar pro Jahr mehr als verzehnfacht haben.

In Deutschland kaufen neben KTG auch weitere Konzerne wie die JLW Holding aus Winsen an der Aller und die Steinhoff Holding aus Westerstede Land im großen Stil. "Diese Investitionen krempeln die bäuerlichen Strukturen nach und nach um", sagt Martin Hofstetter von Greenpeace. Der Agrarexperte kritisiert, dass auch die großen Konzerne EU-Subventionen kassieren, durch ihre stark automatisierte Landwirtschaft allerdings Arbeitsplätze in der Branche verloren gehen und Bauern zu Angestellten werden.

Bei der KTG, argumentiert Hofreiter, bestünden aber nach wie vor kleinere Landwirtschaftsbetriebe in einem Verbund, der ähnlich einer Genossenschaft organisiert sei. "Die Bauern kümmern sich um die Pflanzen, wir um die Kapitalbeschaffung und den Vertrieb", sagt der Landwirtschaftsingenieur, denn seit 2007 ist die Muttergesellschaft KTG Agrar ebenfalls an der Börse gelistet und so von Banken weniger abhängig als einzelne Bauern, die Saatgut, Dünger und Maschinen finanzieren müssen. Die Stichwörter Kapital und Vertrieb beantworten übrigens die Frage, warum die KTG ihre Zentrale mit rund 24 Mitarbeitern in Hamburg angesiedelt hat. Die Hansestadt ist traditionell Handelsstandort für Lebensmittel, und es wird in keiner anderen Stadt so viel Getreide gehandelt wie hier. Wenn Hofreiter in seinem Büro aus dem Fenster schaut, hat er die Zentrale der Toepfer International, eines der größten Getreidehändler, vor sich.

Die Sorge, dass kleinere Betriebe angesichts der Konkurrenz von Kapitalgesellschaften in der Landwirtschaft keine Überlebenschance mehr haben könnten, ist aber nicht die einzige Kritik an Unternehmen wie der KTG. Weltweit stoßen sich Nahrungsmittelexperten zudem daran, dass immer mehr Flächen umgewidmet werden für die Energieindustrie. Allein in den USA geht knapp die Hälfte des geernteten Maises in die Produktion von Bioethanol. Dieses Kontingent fehlt auf dem internationalen Agrarmarkt. Durch das knappere Angebot könnte der Maispreis bis 2020 um 25 Prozent zulegen, befürchten Ernährungspolitiker.

Auch in Deutschland leiden kleinere Landwirte darunter, dass viele Flächen für den Anbau von Mais genutzt werden, der in die Biogasproduktion geht. Durch die Einspeisevergütung für die Bioenergie, die vom Staat garantiert wird, fühlen sich die Lebensmittelproduzenten benachteiligt, die ihre Produkte auf dem freien Markt mit schwankenden Preisen anbieten müssen. Sie werten diese Politik als Wettbewerbsverzerrung. Biogasanbieter könnten dadurch auch mehr in Ackerflächen investieren und trieben die Preise für Agrarland in die Höhe, bemängeln Kritiker der heutigen Energiepolitik. Ethiker stellen dabei auch zunehmend die Frage, ob es vertretbar ist, Agrarprodukte für den Tank statt für den Teller herzustellen.

Hofreiter kennt die Probleme, hat darauf aber eine intelligente Antwort gefunden: Seine Flächen werden doppelt genutzt. In der ersten Hälfte des Jahres für hochwertiges Getreide, anschließend, nach der Ernte, dann noch einmal für anspruchslosere Pflanzen wie Gräser oder Hirse, die dann in die Biogasanlagen gehen. Die Idee Hofreiters hat bereits renommierte Anhänger gefunden, er liefert seine Energie unter anderem an Konzerne wie BMW und Rewe. "Wir beliefern allein 3000 Rewe-Märkte mit grüner Energie."

Für Hofreiter ist die Lieferbeziehung mit dem Handelskonzern aus Köln übrigens wie ein Déjà-vu, sagt der Vater von zwei Kindern schmunzelnd: "Auch für die Bio-Eier war Rewe schon mein erster Kunde."