Europa-Chef Paul Molyneux muss umstrukturieren und sparen, auch in der Hansestadt. Japanischer Konzern schreibt hohen Nettoverlust.

Hamburg. Paul Molyneux steht im Foyer der Hamburger Sharp-Niederlassung vor einem Fernseher, den man angesichts seiner gigantischen Ausmaße schon fast als Tischtennisplatte verwenden könnte. Im Privathaus des Europa-Präsidenten von Sharp bei London sucht man ein solches Ungetüm vergeblich, bisher jedenfalls, sagt der Manager und versichert lächelnd, dass er seine Frau wohl schon bald von dem neuen Riesen-TV überzeugt haben wird. Paul Molyneux leistet die Überzeugungsarbeit für große Fernseher nicht nur bei seiner Gattin, sondern auch bei Millionen Kunden in Europa. Er steht seit November an der Spitze von Sharp in allen europäischen Ländern und pendelt dabei zwischen der Europa-Zentrale in London und den Firmensitzen in Tokio und Hamburg, wo Sharp wichtige Vertriebs- und Marketingaktivitäten für alle Sharp-Produkte konzentriert hat.

Der 49-Jährige hat die Verantwortung für Sharp in Europa in schweren Zeiten übernommen. "Wir leben im digitalen Zeitalter und müssen uns darauf einstellen", sagt Molyneux. Die Organisation sei einer analogen Welt angemessen, müsse nun aber an die neue, flexiblere und schneller reagierende Welt angepasst werden: Molyneux ist bei Sharp angetreten, um den Konzern in Europa auf den Kopf zu stellen. Erstmals in seiner Geschichte baut Sharp ein paneuropäisches Hauptquartier auf, das seinen Sitz in London haben soll.

+++ Handy statt TV: Smartphones liegen vor TV-Geräten +++

Molyneux' Aufgabe ist wichtig für die Region und wird auch in Japan als überaus bedeutend für die Zukunft des Unternehmens angesehen, das in diesen Tagen 100 Jahre alt wird: Molyneux ist der erste nicht japanische Verantwortliche im Board of Directors des Sharp-Konzerns mit seinen weltweit gut 55 000 Mitarbeitern.

+++ 100 Jahre Sharp +++

Der Brite, ein verbindlicher, zuweilen humorvoller Manager, der nach Stationen bei Sony zu Sharp kam, wirkt nicht wie ein knallharter Sanierer, aber letztlich wird seine neue Strategie nicht ohne harte Schnitte, nicht ohne Stellenabbau auskommen können. Sharp ist tief in den roten Zahlen, erlitt im vergangenen Jahr mit umgerechnet 3,764 Milliarden Euro den höchsten Nettoverlust seiner Geschichte.

Der Konzern hat gleich bei mehreren seiner wichtigsten Aktivitäten, im TV-Geschäft, bei Solarzellen und im Markt für Haushaltsgeräte wie Kühlschränke und Mikrowellen, einen harten Preiskampf zu überstehen. "Auch in Hamburg wird es sehr wahrscheinlich zu einem Stellenabbau kommen", sagt Molyneux. Bisher arbeiten bei Sharp in der City Süd gut 450 Beschäftigte. Klarheit darüber, wie viele Mitarbeiter ihre Stellen verlieren oder auf andere Positionen wechseln müssen, soll es in rund vier bis sechs Wochen geben. "Ich lebe derzeit im Flugzeug und schaue mir alle unsere Büros in Europa an", sagt Molyneux. Erst wenn diese Phase der Analyse abgeschlossen ist, wird auch die Rolle Hamburgs in Europa neu definiert werden können. "Aber wir halten auf jeden Fall an dem Standort fest, da gibt es keine Zweifel", sagt Molyneux, der persönlich die netten Restaurants und Bars, aber auch die Weltoffenheit und Übersichtlichkeit der Hansestadt schätzt. Derartige "weiche Faktoren" in der Standortanalyse dürften derzeit für Sharp allerdings in den Hintergrund treten.

Denn die Lage ist ernst, und zwar in der gesamten Branche. Auch Sony erwirtschaftet mit seinem Fernsehgeschäft seit acht Jahren Verluste. Der Konkurrent Toshiba kündigte vor einigen Tagen an, die Produktion von Fernsehern in Japan einzustellen. Jetzt produziert der Hersteller nur noch in China, Indonesien, Ägypten und Polen. Sharp lässt seine LCD-Fernseher ebenfalls in Polen herstellen, und an der Produktion in Europa werde Sharp auch noch in den nächsten zehn Jahren festhalten, versichert Molyneux, der sich zugleich aber immer schlagkräftigerer Konkurrenz gegenübersieht: Die Sharp-Rivalen Sony und Panasonic planen, in der Entwicklung von Fernsehern zu kooperieren. Und allein der südkoreanische Weltmarktführer Samsung und die Nummer zwei, LG Electronics, kontrollieren inzwischen mehr als ein Drittel des weltweiten Marktes für Flachbildfernseher. Sharp konzentriert sich nun auf immer größere Fernseher und sieht hier Wachstumspotenzial: Derzeit verkauft Sharp 200 000 Geräte mit einer Bildschirmdiagonale von 60 Zoll und mehr, bis 2014 will das Unternehmen diese Zahl auf mehr als 500 000 Exemplare steigern.

Sharp leidet aber nicht nur unter der Wettbewerbssituation im Fernsehgeschäft, sondern auch unter dem Preisverfall bei Solarzellen. Es sei kaum möglich, bei der Hardware mit immer mehr Billiganbietern, teilweise No- Name-Firmen aus Asien, zu konkurrieren, sagt Molyneux. Sharp setze daher auf Komplettlösungen für Haushalte, die den Service zum Anschluss und der Steuerung der Solarzellen mit beinhalteten. Einen ähnlichen Weg geht Sharp bei Produkten wie Kopierern und Druckern für Firmenkunden. Auch hier stehen nicht mehr nur die Geräte, sondern individuelle Lösungen für verschiedene Branchenanwendungen im Mittelpunkt des Geschäfts.

Der Sharp-Manager, selbst begeisterter Rennradfahrer, war auch schon bei der Fußball-Europameisterschaft in Polen, hat sich die deutsche Nationalmannschaft angeschaut. Die Region liegt dem japanischen Konzern besonders am Herzen, denn die Wachstumsraten der Wirtschaft in Ländern wie Polen, Russland oder der Türkei lassen auf gute Geschäfte hoffen. Und der Markt ist noch nicht so gesättigt wie in Westeuropa. Vielleicht fällt es den Kunden dort auch leichter, ihre Ehefrauen für einen neuen Fernseher zu begeistern.