Neue Studien beweisen: Wenn Eltern schon Babys von Erzieherinnen betreuen lassen, ist das besser für die Entwicklung des Nachwuchses.

Am liebsten hätte Nelly Peinemann ihre Kinder Carla und Johannes, heute fünf und sieben Jahre alt, gar nicht in einer Kita betreuen lassen, sondern hätte sie erst mit der Einschulung in fremde Hände gegeben. "Die ersten drei Jahre mit meinen Kindern habe ich sehr genossen", sagt sie. Aber irgendwann habe sie dann doch gemerkt, dass es Carla und Johannes nicht mehr genügte, nur mit ihrer Mutter zusammen zu sein.

+++ Je früher, desto schlauer: was die Eltern dabei beachten sollten +++

+++ Fakten und Zahlen +++

+++ Wichtige Fragen +++

"Mit drei Jahren wollten sie mit anderen Kindern spielen. Ich habe das auf dem Spielplatz beobachtet. Aber dort lassen sich keine Freundschaften schließen", sagt die 43-Jährige, die vor 18 Jahren aus Ecuador nach Deutschland kam. Also habe sie Carla und Johannes jeweils mit drei Jahren zunächst zweimal die Woche in eine kleine private Kita gegeben, später dann in die Kita Alsterredder in Sasel. Carla geht dort zurzeit noch täglich von acht bis 13 Uhr hin, Johannes besucht mittlerweile die Schule. "Erst hatte ich Angst, aber nun bin ich sehr zufrieden", sagt Nelly Peinemann, die aus ihrer südamerikanischen Heimat andere Erziehungsmaßstäbe gewohnt ist. In Ecuador sei es nämlich üblich, die Kinder zu Hause zu lassen, bis sie mit frühestens sechs Jahren in eine Kita gehen und mit sieben eingeschult werden.

Fest steht: Es gibt kein "optimales Kindergartenalter", keine allgemeingültige Richtlinie, ab welchem Alter ein Kind eine Kita oder einen Kindergarten besuchen sollte, dürfte oder vielleicht sogar müsste.

Die entscheidende Frage lautet daher vermutlich eher: Ist mein Kind reif genug für den Kindergarten? Wobei sich diese Frage bei der Betreuung von Krippenkindern schon mal gar nicht stellt. Und: Viele Einrichtungen bestehen auf einem Mindest-Eintrittsalter von drei Jahren. Doch ein Kind ist nun mal ein Individuum - und nicht jedes drei Monate alte Baby oder jedes dreijährige Kind sind zwangsläufig bereit für die Krippe oder den Kindergarten.

Ob die Betreuung einem Baby oder einem Kleinkind nützt oder schadet, ist höchst umstritten. Die zum Teil sogar erbittert geführten Auseinandersetzungen unter Erziehungsexperten (aber nicht selten auch unter Müttern) erinnern an einen Streit um Glaubensfragen. Die einen sagen, ein einjähriges Kind oder gar ein wenige Monate altes Baby in die Kindertagesstätte zu geben sei ganz furchtbar - nur "Rabenmütter" würden so etwas tun. Die andere Fraktion vertritt dagegen die Ansicht, Kinderkrippen machten schlau(er).

Die Eltern haben die Qual der Wahl bei verbesserten Bedingungen: Denn bis zum Jahr 2013 soll ja bundesweit für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz vorhanden sein, und Hamburg prescht bei der Kindertagesbetreuung sogar vor. Hier sollen Eltern von zweijährigen Kindern bereits in diesem Jahr ein Recht auf Kindertagesbetreuung haben. Ein entsprechender Antrag zum Rechtsanspruch vom 1. August 2012 an wurde bereits eingebracht.

Doch die Frage aller Fragen für junge Eltern, die zumeist gleichzeitig auch im Beruf nach vorne kommen wollen, ist, ab welchem Zeitpunkt sie ihr Kind guten Gewissens "fremdbetreuen" lassen können, sollen und dürfen. Wobei sich sofort die nächste Frage anschließt: Sollen sie sich für eine Tagesmutter oder doch für eine Krippe respektive Kindertagesstätte entscheiden?

"Eltern, die auf einen überschaubaren Rahmen Wert legen, sind bei einer Tagesmutter besser aufgehoben, die besser auf die ganz Kleinen eingehen kann", sagt Anja Reinke, Vorsitzende vom Hamburger Tagesmütter- und -väter-Verein. Die Gruppengrößen bei einer Tagesmutter umfassen bis zu fünf Kinder, fast immer altersgemischt. "Mehr als ein, zwei Babys in einer Gruppe sind nicht möglich, weil die Tagesmutter ihre Hand frei haben muss für die ganz Kleinen. Wenn es dann gut läuft, ein Baby 'angekommen ist' und sich eingewöhnt hat, kann die Tagesmutter eventuell noch ein zweites aufnehmen." Tagesmütter seien dabei häufig flexibler als große Kindertagesstätten. Daher stehe die kontinuierliche Bindung zum Kind im Vordergrund. "Für die Kleinen ist das dann auch nicht so viel Arbeit", sagt Anja Reinke, die beobachtet hat, dass Babys mit wenigen Monaten leichter einzugewöhnen seien als beispielsweise die schon einjährigen Kinder.

Auch Anja Otto, 37, hatte sich vor zwei Jahren dazu entschieden, ihren Sohn Florian, damals gerade mal acht Wochen alt, der Krippe in der Kita Bindfeldweg in Niendorf anzuvertrauen. Die Ingenieurin bei der Lufthansa Technik hatte sich ganz auf ihr Bauchgefühl verlassen. "Ich wollte keine lange Auszeit von meinem Job nehmen, denn dann wäre mein Arbeitsplatz womöglich weg gewesen", sagt sie. Und ob ein Baby mit acht Wochen in die Betreuung gegeben wird oder lieber doch erst mit einem Jahr, habe für sie keinen großen Unterschied gemacht.

Die Entscheidung für die Krippe fiel ihr allerdings deswegen leichter, weil sie ihren Sohn stillen konnte, bis er neun Monate alt war. Denn von ihrem Arbeitsplatz bis zur Kita waren es gerade mal zehn Autominuten. "Mit dem wiederholten Abschiednehmen hatte Florian kein Problem", erzählt sie, "und ich auch nicht. Für mich stand immer fest, dass ich Vollzeit arbeiten möchte."

Mit ihrem zweiten Kind, das im September auf die Welt kommen soll, will sie es ganz ähnlich machen. "Ich habe es nie bereut, mein Kind früh in die Kita gegeben zu haben. Denn nur als Mutter, nur zu Hause, da wäre ich wahnsinnig und unglücklich geworden. Das wäre dann auch für Florian nicht gut gewesen."

Einig sind sich die Erziehungswissenschaftler darüber, dass kleine Kinder möglichst behutsam an ihren neuen Alltag herangeführt werden sollten. So dauert die Eingewöhnungszeit in den Einrichtungen der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten in der Regel vier Wochen. Zunächst bleibt das Krippenkind mit einem Elternteil für etwa eine bis eineinhalb Stunden. Diese Zeit wird dann nach und nach verlängert. Nach ein paar Tagen wird das Kid dann für eine kurze Zeit alleine gelassen. Und auch diese Zeit der Trennung wird allmählich verlängert, bis das Kind zum ersten Mal über Mittag alleine bleibt.

Die hoch emotionale Diskussion, welches das richtige Kita-Einstiegsalter sei, ist in den vergangenen Jahren in Deutschland mehr versachlicht worden. Dies liegt vor allem daran, dass zur Beantwortung dieser Frage inzwischen nicht mehr nur Erziehungswissenschaftler und Psychologen, sondern vor allem Wirtschaftswissenschaftler etwas beizutragen haben. Christian Dustmann und Uta Schönberg vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und dem University College in London haben beispielsweise untersucht, welches frühkindliche Betreuungsmodell für den späteren beruflichen Erfolg ausschlaggebend sei. Das Ergebnis: Eine gesetzlich garantierte längere Elternzeit hat keinen nennenswerten Einfluss auf die schulische Karriere und die späteren Verdienstchancen der Kinder. Dustmann und Schönberg nutzten für ihre Langzeitstudie Daten aus drei Bundesländern. Sie verglichen die schulische Entwicklung von Heranwachsenden, die kurz vor oder kurz nach dem Inkrafttreten einer neuen Regelung geboren wurden. Erstmals wurde der bezahlte Mutterschaftsurlaub 1979 (auf Wunsch) von zwei auf sechs Monate verlängert. 1986 kam dann der "Erziehungsurlaub" (mit relativ niedrigem Erziehungsgeld) auf, und im Jahre 1992 wurde schließlich die Möglichkeit zu einem dreijährigen, unbezahlten Erziehungsurlaub geschaffen. Doch weder haben mehr Angehörige des Jahrgangs 1986 Abitur gemacht als die vom Jahrgang 1985, noch sind statistisch größere Einkommensvorteile beim Jahrgang 1979 gegenüber dem Jahrgang 1978 zu erwarten. Und von den Jüngsten der Untersuchung - der Jahrgang 1992 - gehen nur 0,1 Prozent mehr auf ein Gymnasium. "Unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Erfolgschancen von Kindern spricht wenig dafür, eine weitere Ausdehnung der Elternzeit anzustreben", stellt Christian Dustmann fest.

Jetzt geht die Bundesregierung mit der einkommensabhängig bezahlten 12- bis 14-monatigen Elternzeit sowie dem Ausbau der Tagesbetreuung für unter Dreijährige ohnehin einen anderen Weg, für den die Ergebnisse einer weiteren wirtschaftswissenschaftlichen Studie der Bertelsmann-Stiftung sprechen, für die Schulkarrieren von sogenannten Nachwendekindern der Geburtsjahrgänge 1990 bis 1995 untersucht wurden. Im Ergebnis nimmt dabei die Wahrscheinlichkeit, mit 14 Jahren lediglich eine Hauptschule zu besuchen, mit zunehmender Dauer vorschulischer Betreuungs- und Bildungserfahrungen ab. Wer also schon als Kleinkind zeitweise in einer Kita betreut wurde, besucht heute mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium als die Altersgenossen, die ganztägig privat betreut wurden, bis sie erst mit drei Jahren (oder später) in eine Kita kamen. 36 Prozent aller Schüler in Deutschland streben zurzeit das Abitur an - aber von den Krippenkindern sind es 50 Prozent.

"Aus den Studienergebnissen wird deutlich, dass das verfügbare Familieneinkommen inzwischen ein entscheidender Hebel für die Bildungsverläufe der Kinder ist", so Anette Stein, Managerin des Programms "Wirksamere Investitionen in ganzheitliche Bildung" der Bertelsmann-Stiftung. So nütze es den Kindern mehr, wenn sie so zuverlässig betreut würden, dass beide Eltern erwerbstätig sein können. Mindestens ebenso wichtig sei aber, dass Kleinkinder im Umgang mit anderen Kindern mehr lernen können. "In den Kleinfamilien ist dieses Ausmaß an Anregungen zumeist nicht vorhanden."

Dass kleine Kinder in Krippen und Kindertagesstätten längst nicht nur betreut, sondern auch gebildet werden, ließe sich als ein gewichtiges Argument gegen das von der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) favorisierte Betreuungsgeld interpretieren. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass sich durch den forcierten Ausbau des Kita- und Kindergarten-Angebots die Qualität der Einrichtungen verringert. Hier mahnen die Experten der Bertelsmann-Stiftung an, unbedingt für kompetente Erzieherinnen sowie auf eine ausreichende Unterstützung von Kitas zu achten, um das angestrebte "Bildungsprogramm der frühen Jahre" wirklich wirkungsvoll zu gestalten.

Denn auch wenn die Bindung zu den Eltern unter der "Fremdbetreuung" nicht leidet, gilt: Je jünger das Kind ist, desto wichtiger ist der Betreuungsschlüssel in der Einrichtung. Dann muss sich auch keine Frau, die Kinder und Karriere miteinander verbinden will, mehr als "Rabenmutter" beschimpfen lassen. Im Gegenteil. Die Kölner Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert hat festgestellt, dass Mütter von Kitakindern sich in der gemeinsamen Zeit ihren Kindern deutlich intensiver widmen als die Mütter, denen dafür der ganze Tag zur Verfügung steht. "Überhaupt", sagt auch Anja Reinke vom Hamburger Tagesmütter- und -väter-Verein, "sind es ja sowieso vorwiegend die Eltern, die am meisten klammern."