Die Wissenschaftler Hans-Joachim Laewen und Beate Andres über die Bedeutung einer erfolgreichen Eingewöhnung und die Qualität der Erziehungsarbeit

Hamburg/Berlin. Das Institut für angewandte Sozialisationsforschung (Infans e. V.) wurde im Jahre 1988 von dem Soziologen Hans-Joachim Laewen und der Erziehungswissenschaftlerin Beate Andres gemeinsam mit einer Gruppe von ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Absolventinnen des Arbeitsbereichs Kleinkindpädagogik der Freien Universität Berlin gegründet. Das Abendblatt sprach mit ihnen.

Hamburger Abendblatt:

Ab welchem Alter sollte man sein Kind einer Tageskrippe frühestens anvertrauen?

Beate Andres:

Grundsätzlich hängt eine frühe Tagesbetreuung weniger vom Alter der Kinder als von der Qualität der Betreuung ab. In jedem Fall müssen die Kinder während einer ein- bis dreiwöchigen Eingewöhnungsphase von einer vertrauten Person (Vater, Mutter, gegebenenfalls Großeltern, wenn das Kind sie gut kennt) begleitet werden. Die Arbeit der Einrichtung sollte möglichst transparent gestaltet sein, das Kind sollte feste Bezugserzieherinnen haben, aber auch die Beziehung zwischen den Erzieherinnen und den Eltern ist wichtig, denn ist sie gut, profitiert auch das Kind.

Worauf sollten Eltern besonders achten?

Hans-Joachim Laewen:

Die Kita muss eine anregungsreiche Umgebung zur Verfügung stellen und sollte auf der Grundlage eines ausgewiesenen pädagogischen Konzepts arbeiten. Die Bedeutung der Qualität der Betreuung wächst, wenn ein Kind länger als halbtags in der Einrichtung betreut wird.

Die Eltern sollten rechtzeitig mit der Eingewöhnung ihres Kindes beginnen und einen zeitlichen Spielraum durch Verzögerungen, die etwa durch eine Erkrankung des Kindes entstehen können, einplanen. Sie sollten sich zuvor ein Bild von der Kita gemacht haben, offen auf das Team zugehen und die hohe Bedeutung der Arbeit des pädagogischen Fachpersonals respektieren. Und Eltern sollten Fragen stellen: Fühlt sich das Kind wohl? Sind die Erzieherinnen achtsam, arbeitet das Team harmonisch? Wie sieht das pädagogische Konzept aus? Wenn dann der Eindruck der Eltern nicht gut genug ist, sollten sie - wenn diese Alternative besteht - auch den Wechsel in eine andere Kita in Betracht ziehen. Die Bertelsmann-Stiftung und die Deutsche Liga für das Kind haben Checklisten für Eltern mit Qualitätskriterien für Krippe und Tagespflege veröffentlicht. *

Was sind die Vorteile einer frühen Tagesbetreuung, was die Nachteile?

Andres:

Beides hängt weitgehend von der Qualität der Betreuung ab. In einer amerikanischen Langzeitstudie wurde bei Kindern, die sehr früh und lange in einer Krippe betreut worden waren, nach zehn Jahren in erhöhtem Maß auffälliges Verhalten festgestellt, jedoch weit unter der Grenze zur Behandlungsbedürftigkeit, sondern im Bereich des Normalen, wie die Autoren betonen. Bei guter Qualität der Betreuung gewinnen Kinder in unterschiedlichem Umfang (je nach Familienhintergrund) häufig in ihrer kognitiven Entwicklung und ihren sozialen Fähigkeiten. Eine Bertelsmann-Studie verweist auf einen höheren Anteil an Gymnasialempfehlungen für Kinder mit früher Tagesbetreuung.

Wenn Kinder nicht in die Kita wollen: Sollte man versuchen, sie mit sanftem Druck zu überreden?

Andres:

Die Begleitung durch ein Elternteil erlaubt es dem Kind, diese Prozesse des Vertrautwerdens mit der neuen Umgebung in Ruhe und ohne Überforderung zu durchlaufen. Wenn vom Kind Ängste oder Sorgen geäußert werden, sollte denen eher nachgegangen werden, als sanften Druck auszuüben.

Und wenn ein Kind sich mit der Kita partout nicht anfreunden will?

Laewen:

Fehlt die Eingewöhnung oder misslingt sie, können bei einigen Kindern Entwicklungsverlangsamungen auftreten. Sie werden eine Reihe von krisenhaften Situationen erleben, können häufiger erkranken, und die Bindungsbeziehung zu den Eltern kann beeinträchtigt werden. Der aktuelle Kenntnisstand jedoch ist, dass bei der von Kritikern monierten frühen Tagesbetreuung bisher keine katastrophalen Entwicklungen beobachtet wurden. Wenn sich ein Kind aber energisch oder über längere Zeit gegen den Besuch einer Einrichtung wehrt, sollten die Ursachen untersucht werden. Das Handeln junger Kinder folgt immer einem Sinn, der sehr subjektiv sein mag, aber für das Kind sehr bedeutsam ist.

Wie funktioniert das pädagogische Infans-Konzept?

Laewen:

Das Infans-Konzept der Frühpädagogik zielt darauf ab, Bildungsprozesse bei Kindern von Beginn an auf höchstmöglichem Niveau herauszufordern und zu unterstützen und dabei dem Wohlbefinden der Kinder eine hohe Priorität einzuräumen. Kennzeichnend für eine erfolgreiche Umsetzung des Infans-Konzepts ist eine gute Kooperation im pädagogischen Team, die tief greifende Veränderungen in Struktur und Methodik von Kindertageseinrichtungen möglich werden lässt.

Unter Beteiligung der Eltern formulieren die Erzieherinnen verbindliche Erziehungsziele, an denen sich die pädagogische Arbeit orientieren kann. Ausgehend von den Zielen der Erwachsenen und den Interessen und Themen der Kinder werden individuelle Curricula für jedes Kind entwickelt. Jedes Kind wird in seiner Besonderheit wahrgenommen und in seinen Bildungs- und Lernprozessen von Beginn an so unterstützt und herausgefordert, dass es seine ganz spezifischen Potenziale bestmöglich entfalten kann.

Die bislang vorliegenden wissenschaftlichen Studien zum Konzept belegen ihre Wirksamkeit für die Qualität einer frühen Tagesbetreuung. Etwa 1700 Kitas in Deutschland und der Schweiz arbeiten bereits mit dem Konzept.

* http://liga-kind.de/aktuelles/dokumentation.php , http://www.bertelsmann-stiftung.de