Eine wahre Geschichte von Alexander Schuller

Die Weltverbesserer sitzen nicht in den Parlamenten, sondern im Erdgeschoss eines Backstein-Mehrfamilienhauses am Peterskampweg in Hamm, wo ein Kiosk an sechs Tagen der Woche geöffnet hat und die Umgegend mit Brötchen, Zeitungen, Zigaretten und der Möglichkeit zum Lottospiel beglückt.

Das Besondere an diesem Kiosk ist freilich der Rat der Weisen, der zu unterschiedlichen Tageszeiten, also eigentlich immer, um einen Resopaltisch versammelt ist, Kaffee aus Plastiktassen schlürft und der Kundschaft Ratschläge gibt - fürs Leben, für die Steuererklärung, den Umgang mit Hochdruckreinigern und überhaupt. Dem Scholz würden Manfred, Peter, Hans-Joachim und Uwe liebend gern mal erzählen, wie es in Hamburg alles besser laufen könnte, aber Olaf hätte sich leider noch nie blicken lassen. Aber wenn, dann ...

Exakt seit dem 29. Januar dieses Jahres leben die vier Männer, allesamt um die 50, ihre ganz private Gesundheitsreform aus. Warum sie sich alle just an jenem Tag das Rauchen abgewöhnten, wissen sie nicht, doch fest steht, dass sie a.) nicht wieder mit dem Rauchen angefangen haben und dass b.) die freundlichen Kioskbesitzer jedes Mal den Atem anhalten, wenn ein Kunde nach Zigaretten verlangt. Denn die Gefahr, dass der Rat der Weisen sich übers Suchtverhalten der Tabaksünder mokiert, ist groß. Das könnte sich auf den Umsatz auswirken. "Einfach aufhören, von einem Tag auf den anderen", sagt Manfred, "ist nur eine Frage der Disziplin."

Als er die Zeitungen auf dem Resopaltisch zusammenfaltet, kommt ein Haufen orange-silbern-farbiges Knisterpapier zum Vorschein, Einwickelpapier von Kinderschokolade: vier Mann, vier Tafeln. Pro Tag. Ist ja auch nur eine Frage der Disziplin.