Union, SPD und FDP wollen Abweichlern im Bundestag das Rederecht beschneiden

Wenn es um ihre Macht geht, reagieren Politiker manchmal so dickfellig, dass es für ihr Verhalten fast nur noch die berühmte Metapher vom Elefanten im Porzellanladen gibt. Genau dies ist, mal wieder, im Deutschen Bundestag zu besichtigen. In verhängnisvoller Eintracht haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP im sogenannten Geschäftsordnungsausschuss eine Beschlussvorlage durchgewinkt, mit der es dem zuweilen aufmüpfigen Parlamentspräsidenten Norbert Lammert vordergründig besonders schwer gemacht werden soll, Abgeordnete zu Wort kommen zu lassen, die eine von ihrer Fraktion abweichende Meinung vertreten.

Tatsächlich ist das ein Stück aus dem politischen Tollhaus, nichts weniger als der handfeste Versuch eines Maulkorberlasses für frei gewählte Volksvertreter, die laut Verfassung nur ihrem Gewissen verantwortlich sein sollen - wobei die Fraktionen, nebenbei bemerkt, im Grundgesetz überhaupt nicht vorkommen.

Wer so dreist Hand an die Meinungs- und Redefreiheit im Bundestag legt, muss sich nicht wundern, wenn er damit Misstrauen beim Bürger sät und Politikverdrossenheit schürt. Wer so dreist das offene Wort scheut, muss sich auch nicht wundern, wenn das böse Wort von der Hinterzimmerpolitik wieder die Runde macht. Wer so dreist die Rechte des Parlaments beschneiden will, beweist nachdrücklich, dass er wichtige gesellschaftliche Entwicklungen, etwa dem Wunsch nach mehr Transparenz in der Politik, schlichtweg verpennt hat. Die SPD hat bitter erkennen müssen, dass Regieren nach der Basta-Methode beim Bürger gar nicht ankommt. Die Union, die davon nicht schlecht profitiert hat, scheint das aber trotzdem nicht kapiert zu haben.

Es ist kein Zufall, dass der Geschäftsordnungsvorstoß nur wenige Wochen nach der Debatte um Euro-Rettung und Rettungsschirme gestartet wurde. Da hatte Lammert, sehr zum Verdruss der Regierung, den Euro-Rebellen Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) die Gelegenheit gegeben, vor dem Parlament ihre abweichende Meinung zu begründen. Lammert wollte damit nur erreichen, dass sich die quer durch die deutsche Bevölkerung gehende Debatte auch im Bundestag widerspiegelt.

Nun ist das, was der Bundestag in knapp zwei Wochen beschließen soll, noch kein Anschlag auf die Demokratie, wie der ein oder andere Kritiker jetzt vorschnell mutmaßt. So viel Bosheit wollen wir den Fraktionen gar nicht zutrauen. Ihnen geht es offenbar darum, die Abstimmungsmaschinerien gut geölt am Laufen zu halten. Aber genau diese Politikmethode hat dazu geführt, dass etwa Wutbürger in Stuttgart monatelang gegen den Bahnhofsneubau protestiert hatten. Informationen zu dem umstrittenen Projekt waren zu wenig öffentlich gewesen, Entscheidungsprozesse für die Öffentlichkeit nicht genügend transparent geworden. Die Politiker hatten die Urteilsfähigkeit des Bürgers offenbar unterschätzt, wie die spätere Volksabstimmung bewies.

Ratlos stehen gerade die großen Parteien dem Phänomen der scheinbar unaufhaltsam wachsenden Piratenpartei gegenüber, zu deren wenigen klaren Zielen die Transparenz von politischem Handeln zählt. Wer aber per Geschäftsordnungstrickserei abweichende Meinungen zum Schweigen bringen will, braucht gar nicht erst Geld für teure Untersuchungen auszugeben, um dem Erfolg der Piraten auf die Spur zu kommen. Gerade die großen Parteien, die von sich selbst noch immer behaupten, sie seien Volksparteien, sollten sich genau überlegen, wie sie das Volk von ihrem Regierungshandeln überzeugen können. Mehr Offenheit gehört auf jeden Fall dazu.