Brief der Stadt bringt Bewegung in die Probleme an der Elbphilharmonie. Aber vom Weiterbau bis zur Trennung von Hochtief ist alles möglich

Hamburg. Keine zwei Monate ist es her, dass ein Aufatmen durch die Stadt ging. Nun wird doch noch alles gut bei der Elbphilharmonie, dachten viele. Es war der 23. Februar, und der Baukonzern Hochtief hatte einen "Lösungsvorschlag" für die Wiederaufnahme der Arbeiten an dem Konzerthaus präsentiert.

Nachdem die Essener bis dato bei dem Dach über dem großen Saal eine "Gefahr für Leib und Leben" befürchtet und die Arbeiten eingestellt hatten, während die Stadt als Auftraggeber die mächtige Konstruktion für sicher erklärt hatte, lenkte die Baufirma nun scheinbar ein und kündigte an, die Konstruktion nach eigenem Ermessen zu "ertüchtigen" und weiterzubauen. Antwort der Stadt, sinngemäß: Wir halten das zwar nicht für notwendig, aber macht ruhig - Hauptsache, es geht endlich voran. Es soll Mitarbeiter in der städtischen Realisierungsgesellschaft (ReGe), in der Kulturbehörde und im Rathaus gegeben haben, die kurz davor waren, eine Sektflasche zu entkorken.

Die Schaumgetränke müssen wohl noch warten. Am Freitag ging bei Hochtief überraschend ein Schreiben der Stadt ein, das in letzter Konsequenz sogar zu einer Trennung führen könnte - und damit zum vorläufigen Aus für das Jahrhundertprojekt. Denn unter anderem setzt die Stadt nun ein Ultimatum: Hochtief soll sich verpflichten, das Saaldach bis zum 31. Mai "abzusenken". Geschieht das nicht, behält sich die Stadt vor, ihr "Kündigungsrecht wegen unberechtigter Leistungsverweigerung" auszuüben, heißt es in dem fünfseitigen Brief, der dem Abendblatt vorliegt. Das sei todernst gemeint, sagte ein Insider. Offiziell will sich niemand zu den Details äußern. Die Kulturbehörde betonte, man habe einen "pragmatischen Vorschlag" gemacht, der hoffentlich den Weiterbau ermögliche.

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Klar ist, dass die Freude über den scheinbaren Durchbruch im Februar nur kurz anhielt. Schon wenige Tage später ging das Gerangel wieder von vorne los. Unter anderem soll Hochtief etwa 15 Bedingungen für den Weiterbau genannt haben. Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) und ReGe-Chef Heribert Leutner auf städtischer Seite sowie Hochtief-Chef Rainer Eichholz und sein Hamburg-Chef Thomas Möller konferierten mehrfach, hin und wieder schaltete sich auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ein. Am 6. März lag bereits eine unterschriftsreife "Absichtserklärung zur Neuordnung" vor, in der alle Probleme angesprochen wurden und mehrfach betont wurde, "einvernehmlich" das Projekt fertigstellen zu wollen. Obwohl selbst auf Senatsseite eingeräumt wird, dass Hochtief "konstruktiv" an einer Lösung mitgearbeitet habe, kam es aber zu keiner Einigung. Stattdessen nun dieser Brief der Stadt.

Darum geht es im Einzelnen:

Planung: Die Stadt schlägt vor, dass die gesamte Planung für die Technische Gebäudeausrüstung (Licht, Elektrik, Heizung, Brandschutz, Lüftung - kurz: TGA) von Hochtief in die Verantwortung der städtischen ReGe übergeht. Das bislang bei Hochtief damit beschäftigte Personal soll dem Bauherrn ebenso zur Verfügung stehen wie die extern beauftragten Planungsbüros. Die Stadt soll berechtigt sein, entsprechende Minderkosten geltend zu machen.

Im Gegenzug soll Hochtief die Ausführungsplanung für das Tragwerk - also das Dach - vollenden. Hierfür waren bislang die Architekten der Stadt verantwortlich. Ob Hochtief dafür Mehrkosten geltend machen kann, werde "vor dem Schiedsgericht entschieden", heißt es im Schreiben der Stadt. Nach Abendblatt-Informationen kritisiert Hochtief an diesem und anderen Punkten, dass die Stadt versuche, Risiken zulasten des Konzerns zu verschieben.

Saaldach: Das Dach über dem großen Konzertsaal wiegt derzeit etwa 2000 Tonnen und ruht noch auf "Aufliegern". Sie müssen entfernt werden, um das enorme Gewicht endgültig auf das Gebäude "abzusenken". Das verweigert Hochtief bislang wegen Bedenken bezüglich der Haltbarkeit der Konstruktion. Verstärken könne man das Dach aber erst, wenn die exakten Pläne für die Teile vorlägen, die noch obendrauf kommen und unten dranhängen - das sind noch einmal 6000 Tonnen für Technik wie Lüftung, Heizung, Elektrik und eine zweite Dachhülle. Diese Pläne habe die Stadt aber noch nicht geliefert.

Schiedsgerichtsverfahren: Bereits in der Absichtserklärung im März wollten sich beide Parteien darauf verständigen, "zur Bewertung und Klärung strittiger Fragen die Einrichtung von Schiedsgerichtsverfahren" zu vereinbaren. Diesen Punkt hat die Stadt nun konkretisiert. Danach soll das Schiedsgericht mit drei Juristen, die allesamt die Befähigung zum Richteramt haben müssen, besetzt werden. Jede Partei ernennt jeweils einen Beisitzer, das ist unproblematisch. Der Vorsitzende Richter aber, so heißt es, ist von den Parteien "einvernehmlich zu bestimmen". Das könnte schwierig werden. Denn schließlich soll dieses Dreier-Gremium sämtliche bestehenden wechselseitigen Zahlungsansprüche der Parteien verhandeln. Also Mehrvergütungsansprüche von Hochtief wegen Leistungsänderungen ebenso wie Ansprüche der Stadt wegen Verzugs oder Überschreitung der vertraglich vereinbarten Fertigstellungstermine. Momentan verlangt Hochtief 56 Millionen Euro Mehrvergütung, im Raum stehen aber - bisher nicht bestätigte - 100 Millionen Nachforderungen. Dagegen will die Stadt 40 Millionen Euro Vertragsstrafe wegen Terminüberschreitung geltend machen.