Unternehmen öffnen in Hamburg einen Tag lang ihre Führungsetage für Jugendliche. Sie sollen Lust auf Selbstständigkeit bekommen.

Hamburg. Als Finn Kernbach wieder vom Untersuchungsstuhl aufsteht, ist er verdutzt. 0,75 Dioptrien zeigt das Messgerät an, dabei hat der 15-Jährige noch nie eine Brille gebraucht. "Das kann auch mal an der Tagesform liegen", beruhigt ihn Kevin Schütt, Geschäftsführer von Schütt Optik. Finn ist einer von 22 Hamburger Schülerinnen und Schülern, die für einen Tag die Rollen tauschen durften. Als "Schüler im Chefsessel" bekamen sie einen Einblick in die Führungsetage von bekannten Hamburger Unternehmen.

Die Aktion wird bereits seit 1980 von Die Jungen Unternehmer BJU durchgeführt und soll Schülern ein realistisches Bild des Unternehmerberufes vermitteln, für den sich immer weniger junge Menschen begeistern. Die beteiligten Unternehmer wollen vor allem die Reize der Selbstständigkeit herausstellen und Berührungsängste abbauen. Oder wie es Kevin Schütt als optimistische Parole vorgibt: "Chef zu sein ist kein unerreichbares Ziel."

Finn hat trotz seines jungen Alters schon Erfahrungen mit dem Unternehmertum. "Meine Mutter ist selbstständige Grafikdesignerin", sagt er. Ihn reizen insbesondere die Freiheiten, die man als Selbstständiger habe. Es stimme zwar, dass man sich die Zeit freier einteilen könne, sagt sein Unternehmerpate Schütt. "Aber wer nachmittags in der Sonne sitzt, muss abends arbeiten." Finn nickt einsichtig.

Viele der Schüler, die an der Aktion teilnehmen, kommen vom Albrecht-Thaer-Gymnasium in Stellingen - so auch Finn. Dort gibt es eine in Hamburg einmalige Einrichtung, die sich Schülerfirma nennt. Es handelt sich um einen Kurs in der 10. Klasse, der statt Informatik gewählt werden kann und gut nachgefragt wird. "Wir haben dort eine DVD produziert und sie bei Schulfesten und dem Weihnachtsbasar verkauft", sagt Finn. Zuvor hatte die Klasse Schüler bestimmt, die für die Produktions-, Marketing- und Finanzabteilung zuständig waren. In der Realität lernt Finn nun allerdings auch andere Seiten des Unternehmertums kennen. Gemeinsam mit Kevin Schütt bricht er zu einem weiteren Ladengeschäft auf, und der Geschäftsführer nimmt drei Plastiktüten mit. "Als Chef muss man auch mal Postbote spielen", erklärt Schütt dem verwunderten Schüler.

Szenenwechsel. Es ist acht Uhr morgens. Die 15-jährige Gesa Rößler sitzt im Büro der Steakhauskette Block House. Geschäftsführer Stephan von Bülow, dem sie heute über die Schulter schauen wird, ist gerade von der Steakhausfiliale in Madrid zurückgekehrt. Die Idee von Schüler im Chefsessel sei "hochgradig spannend", sagt von Bülow. Im Flugzeug von Spanien nach Hamburg habe sich eine Schulklasse über die Passagiere in der Businessclass lustig gemacht. Von Bülow erntete Stille, als er den Mädchen und Jungen entgegnete: "Und später sitzt ihr da." Es gehe vor allem darum, Vorurteile abzubauen, sagt von Bülow zu seinem Engagement. Gesa findet den Blick hinter die Kulissen spannend. Zwar will sie zunächst ein ökologisches Jahr in der Tierpflege machen, kann sich aber auch vorstellen, später in die Wirtschaft zu gehen. Auf ihrem Schnupperkurs durch das Unternehmen erfährt sie zwischen Geschäftsstelle, Restaurant in Wandsbek und Geschäftsterminen mehr über Mitarbeiterführung und die Raffinessen des Gastronomiegewerbes.

Insbesondere der Besuch der n euen Brauerei "Blockbräu" an den Landungsbrücken habe sie sehr beeindruckt, sagt die 15-Jährige, die auch in der Schülerfirma in Stellingen mitarbeitet.

Der Aktionstag Schüler im Chefsessel wird bundesweit in 15 Regionalkreisen des BJU durchgeführt. In dieser Untergruppierung der Vereinigung der Familienunternehmer (ASU) sind Gründer und Nachfolger bis zum Alter von 40 Jahren organisiert. Beim Dachverband der Familienunternehmer engagieren sich unter den 400 Mitgliedern in Hamburg so prominente Vertreter wie Kim Eva Wempe, Friedrich Görtz und Albert Darboven.

Finn Kernbach zieht ein positives Resümee des Tages und sagt, dass die Selbstständigkeit schon jetzt eine Option sei, über die er nachdenke. Von seinem Unternehmenspaten habe er vor allem eins gelernt: Chef zu sein ist stressig. "Aber es macht Spaß, wenn man voll hinter 'seinem Baby' steht", sagt Finn.