Zeit des Erwachens in einem fast schon totgesagten Dorf. Moorburg hat Tiefpunkte erlebt, doch die Bewohner lassen sich nicht unterkriegen.

Sollte jemals ein Märchenbuch über Hamburgs Stadtteile geschrieben werden, wäre klar, wem die Rolle des Aschenputtels zufiele: Moorburg. Kaum ein anderer Stadtteil musste bis heute so viel einstecken wie das kleine Dorf südlich der Elbe. Dabei fing alles verheißungsvoll an. Als Hamburg den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg das strategisch ideal gelegene Örtchen im Jahr 1375 abkaufte, war die Idee klar: Konnte die Stadt bis dahin nur die Schiffe auf der Norderelbe mit Zöllen belegen, war das ab sofort auch für die Süderelbe möglich, die damals viele Kapitäne als billigen Schleichweg nutzten. So umgingen schon vor mehr als 600 Jahren Spediteure die Mautstrecken. Nichts hat sich geändert.

Eine Burg wurde gebaut, die Moorburg, von der aus Hamburg die Einhaltung der Vorschriften kontrollierte. Moorburg wuchs und wurde wichtig für Hamburg als militärischer Vorposten, riesiges Gemüsebeet, Milchlieferant und immer mehr als Ausflugsziel. Die Fähre von Hamburg legte in Moorburg an, und die Passagiere begaben sich auf die Wanderung in die grüne Lunge am Rande der Stadt, die Haake.

Sprung über die Elbe

Das ging viele Jahrzehnte gut, bis der Moloch Hafen sich von Norden über die Elbe ausbreitete. Um weltweit konkurrenzfähig zu bleiben, so hieß es, müsse er wachsen, und Politiker wie Hafenwirtschaft hatten schnell ein Auge auf Moorburg geworfen, denn nur der Süden bot ausreichend Flächen für weitere Containerterminals. So bekam der Spruch vom "Sprung über die Elbe" für die Moorburger eine völlig andere Bedeutung als für Resthamburg. Das große Ganze hatte mehr Gewicht als das kleine Dorf, und so wurde 1981 dessen Räumung beschlossen.

+++ Name & Geschichte +++

+++ Der Stadtteil-Pate: Uwe Spriesterbach +++

+++ Töchter & Söhne +++

Moorburg verfiel in Agonie. Fast 80 Prozent der Bewohner verließen ihren Heimatort und verkauften Haus und Grund an die Stadt Hamburg. Die hatte ab sofort den Daumen drauf und vermietete die Häuser vor allem an sozial Schwache. Die Post, der Friseur machten zu, die alte Schule wurde mangels Schülern überflüssig. Das einst größte Straßendorf Europas schrumpfte gefährlich. Bei den verbliebenen Moorburgern wuchs die Angst. Alle hatten das Beispiel Altenwerder, das bis auf die Kirche dem Hafen weichen musste, täglich vor Augen.

Hier hätte diese Geschichte zu Ende sein können. Aber die verbliebenen Moorburger nahmen den Kampf auf, und wirtschaftliche Einbrüche im Hafengeschäft spielten ihnen in die Karten. Die angekündigte explosionsartige Entwicklung des Containergeschäfts blieb aus. Der Ausbau des Hafens rückte in weite Ferne, und die Stadt begann, ihre marode werdenden Moorburger Häuser zu sanieren. Sie sollten Geld einbringen und nicht kosten.

Die Moorburger nahmen das als Zeichen und erstritten mit ihrem als Bürgerinitiative gegründeten runden Tisch in zähen, stets sachlichen Verhandlungen mit der Politik eine Bestandsgarantie für ihr Dorf bis 2035. Ein Hoffnungsschimmer. Mancher nimmt heute wieder Geld in die Hand, renoviert oder saniert sein Eigentum, Banken geben wieder Kredite - das Dorf erwacht aus seinem Dornröschenschlaf.

+++ Kurz & knapp +++

+++Fläche & Bevölkerung +++

Die Künstler und das Kraftwerk

Menschen zog es wieder nach Moorburg, andere Menschen. Viele Künstler haben dort ihre Ateliers eingerichtet, Kunsthandwerker, Maler, Musiker wie Ulrich Kodjo Wendt, aus dessen Feder die Filmmusik für Fatih Akins Kurzfilm "Getürkt" stammt. Sogar eine Märchenpuppenbühne, "Die Sterntaler" genannt, ließ sich nieder. Sie alle sind geübt im Umgang mit Damoklesschwertern. Die Hafenquerspange droht, die den Ort nicht attraktiver machen würde. Die Elbvertiefung, wenn sie denn kommt, würde viel belasteten Schlick bedeuten, der am Rande Moorburgs aufgespült würde. Auch der Neubau des Vattenfall-Kohlekraftwerks macht den Ort nicht zum Tourismuszentrum. Aber die ein oder andere Stimme im Ort wird laut, die das Kraftwerk für das kleinere Übel hält. Immerhin schränke es mit seinen Ausmaßen die Hafenerweiterungsfläche so weit ein, dass für ein Containerterminal nicht mehr genug Platz sei. Das Kraftwerk sei die Bestandsgarantie für den Ort. Andere hätten die Emissionen gern vermieden gesehen.

Der Kampf der Dorfgemeinschaft für den Ort geht weiter. Lohnt er sich? Allemal! Selbst wenn es im Winter etwas trist daherkommt, im Sommer überrascht das dann quirlige Dorf mit seinen Angeboten. Ein Besuch der 1597 am Moorburger Elbdeich erbauten St.-Maria-Magdalena-Kirche, mitten im Hafenerweiterungsgebiet, lohnt immer. Außen neugotisch, innen barock schlägt das Gebäude einen Bogen über die Jahrhunderte.

Das Fenster zum Hafen

Nur an schönen Tagen gut besucht ist der Moorburger Berg der Hamburg Port Authority, ein künstlich aufgeschütteter Hügel von gut 20 Meter Höhe. Am einfachsten gelangt dorthin, wer den HVV-Bus Linie 157 (ab Bahnhof Harburg) nimmt. Der hält am "Kinderland Moorburg", in dem auch der rege Verein Elbdeich sitzt, und von dort ist es nur ein kleiner Fußmarsch. Oben warten Parkbänke auf Magerrasenflächen, vier große Streuobstwiesen grenzen an, und wertvolle Biotope haben sich dazugesellt. Der Blick fällt auf das Containerterminal Altenwerder, wo das Leben tobt, und auf ein Hafenbecken, in dem auch schon mal ein Riesenpott von Schleppern gedreht wird.

Mit dem Wasserturm Moorburg hat sich ein Restaurant angesiedelt, das man vorzeigen kann. Zwar ist der Namensgeber des Lokals, der 40 Meter hohe Wasserturm, 1952 wegen Baufälligkeit abgerissen worden, doch der Name blieb. Neben Speisen der Extraklasse und Schnäpsen wie Moorburger Lümmel Kümmel und Eau de vie de Moorbourg sind auch wechselnde Bilderausstellungen im Angebot.

Menschen mit Visionen

Wer sich nach dem Essen bewegen möchte, kann das tun. Moorburg ist mit seinem Deich ein Paradies für Fahrradfahrer, Skater und Fußgänger. Naturfreunde sollten das Fernglas nicht vergessen, denn auf den verlassenen Obstplantagen hat sich eine vielfältige Vogelwelt niedergelassen. Übrigens: Das Obst besagter Plantagen darf gegessen werden. Also zugreifen!

Den Zugriff auf ihren Ort wollen die Moorburger hingegen gern verhindern. Tolle Ideen schwirren in ihren Köpfen umher. Wie wäre es ohne Hafenerweiterung, dafür mit einem Wissens-Park in Zusammenarbeit mit der TU Hamburg-Harburg? Die Pläne liegen bereit, und Mr. Moorburg, Rainer Böhrnsen, hat sie im Ohnsorg-Theater - kein Scherz - öffentlich vorgestellt. Aschenputtel hat ja am Ende auch den Königssohn bekommen. Auf die Zukunft Moorburgs darf man also gespannt sein.

In der nächsten Folge am 14.4.: Sternschanze