Ein Kommentar von Kai-Hinrich Renner

Eines vorweg: Die Fälle, um die es im Folgenden geht, sind grundverschieden. Hier ein greiser Literaturnobelpreisträger, der jahrzehntelang verschwiegen hat, in der Waffen-SS gewesen zu sein, und nun ein Gedicht veröffentlicht, in dem er in raunendem Ton vor Israel warnt, das den "Weltfrieden" gefährde. Dort ein schneidiger Schweizer Chefredakteur, der gern provoziert und in der jüngsten Ausgabe seines Blattes schreiben lässt: "Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz - Familienbetriebe des Verbrechens". Im Fall von Günter Grass handelt es sich um schlechte Literatur, in dem von Roger Köppels "Weltwoche" um Volksverhetzung. So weit zu den Unterschieden.

Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Grass und Köppel arbeiten sich an der irrigen Vorstellung ab, dass in freien Gesellschaften Selbstverständliches nicht gesagt werden dürfe. Dabei darf man selbstredend bezweifeln, dass es gut ist, U-Boote an Israel zu liefern. Es ist völlig okay zu fordern, Israel solle seine Atomanlagen der internationalen Atomenergiebehörde IAEO öffnen. Und man darf auch sagen, dass es kriminelle Roma-Familien gibt. Aber wer raunt, statt zu argumentieren, muss sich nicht wundern, wenn er als Wirrkopf dasteht. Und wer wie Köppels "Weltwoche" eine komplette Volksgruppe ausnahmslos an den Pranger stellt, erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung.