Das Gericht hält “Entführer von Barmbek“ für schuldunfähig und therapiebedürftig. Er wollte eine Studentin zwingen, mit ihm zu leben.

Barmbek. Der Mann mit den kraftlos hängenden Schultern und dem Fusselbart bedrohte sein Opfer mit einer Pistole, er fesselte es an sich, sperrte es ein und plante, es mit gynäkologischen Hilfsmitteln zu schwängern. Und zwischendurch gestand der 30-Jährige der vier Jahre jüngeren Studentin immer wieder seine Liebe. Thomas F., der verwirrte "Entführer von Barmbek", muss laut Gerichtsbeschluss auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie. Ein Gutachter hatte den Mann, der bis kurz vor Prozessende stets behauptete, keine Therapie zu benötigen, als dringend behandlungsbedürftig bezeichnet. Weil er bei der Entführung nicht habe einsehen können, dass er Unrecht tat, und deshalb als schuldunfähig gilt, lautet das strafrechtliche Urteil darüber hinaus auf Freispruch.

So spontan, wie Thomas F. im Prozess behauptete, kann die Tat nicht gewesen sein: Am Morgen des 19. August 2011 hatte er eine israelische Studentin, die er über einen Arbeitskollegen kannte, in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim am Kaemmererufer aufgesucht. In seinen Taschen hatte er Handgranaten, eine Pistole, Handschellen und eine tote Maus - die er als Vorwand präsentieren wollte, wenn Nachbarn auf Schreie der Studentin aufmerksam geworden wären. Er zwang die jungeIsraelin, von der er später sagte, sie sei die einzige Frau gewesen, die jemals nett zu ihm gewesen sei, mit in seine präparierte Wohnung zu kommen. Dort hatte er zuvor über Wochen Lebensmittel, Hygienebedarf, Baumaterial zum Verbarrikadieren, Medizin und Instrumentarium für frauenärztliche Eingriffe gehortet. Dinge, die der Gelegenheitsarbeiter von geliehenem Geld seiner Mutter zusammengekauft hatte.

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Dass die Studentin - sie lebt inzwischen wieder in ihrer Heimat - fliehen konnte, ist ihrem Mut und einem glücklichen Zufall zu verdanken. Denn Thomas F. hatte an einem der Fenster, die er von außen mit Stacheldraht gesichert hatte, vergessen, den Griff zum Öffnen abzumontieren. Die 26-Jährige sprang nach zehn Stunden Todesangst aus dem Fenster und rannte verletzt davon. Noch am Abend der Entführung verhaftete die Polizei den Täter.

Er habe im Liebeswahn gehandelt, sagt der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. "Sein Leben war davon bestimmt, eine Frau zu finden und eine Familie zu haben." Die Methoden waren jedoch mangels Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen und wegen der krankhaften Übersteigerung des Wunsches mehr als ungewöhnlich.

Als Thomas F. vor zehn Jahren aus dem sachsen-anhaltischen Hohenmölsen aus seinem Kinderzimmer aus- und nach Hamburg umzog, tat er dies aus Liebe zu der hier lebenden Schauspielerin Eva Habermann. Er setzte sich inihren Garten und strickte Schals, campierte im Dickicht vor ihrem Haus, durchwühlte den Müll der Aktrice. Als er einsah, dass er ihre Liebe nicht würde gewinnen können, kontaktierte er Mädchen via Facebook und spionierte sie im Netz wie im wahren Leben aus. Insgesamt 19 Datensammlungen über junge Frauen entdeckten Ermittler auf dem Computer des 30-Jährigen.

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Die Stipendiatin aus Israel hatte es Thomas F. am meisten angetan. Als sie ihm sagte, sie habe einen festen Freund und würde ohnehin bald nach Israel zurückkehren, entschloss er sich, seinen Lebenstraum nötigenfalls mit Gewalt zu verwirklichen. Dies war der Zeitpunkt, an dem Thomas F. den Bezug zur Realität vollständig verlor. Der Richter sagte gestern am letzten Prozesstag: "Nachdem Sie immer wieder Ablehnung erfahren hatten, sollte die Entführung eine Art Befreiungsschlag sein."

Thomas F., der während der Prozesstage, an denen die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen war, weitgehend wort- und regungslos neben seiner Verteidigerin Leonore Gottschalk-Solger gesessen hatte, entschuldigte sich zum Prozessende bei seinem Opfer. Er habe nun, im Verlauf der Verhandlungstage, eingesehen, dass er behandlungsbedürftig sei. Zuvor präsentierte er dem Gericht noch eine Liste der sichergestellten Dinge, die er gerne aus der Asservatenkammer zurückhaben möchte. Darunter eine Breitling-Uhr, Notizzettel und andere, für Außenstehende bedeutungslos erscheinende Dinge.

Die berühmt gewordene Telefonzelle, die F. in der Wohnung hatte, habe nichts mit der Entführung zu tun gehabt, betonte der Richter zuletzt in der Begründung des Kammerbeschlusses. Anwältin Gottschalk-Solger ergänzte auf dem Gerichtsflur, dass er sich selbst hineingestellt habe, um zu telefonieren: Er sei nämlich auch der Überzeugung gewesen, sonst abgehört zu werden. "Ich wünsche Ihnen Durchhaltevermögen bei der bevorstehenden Therapie", sagte der Vorsitzende zum Schluss. "Ohne Behandlung sind Sie gefährlich für die Allgemeinheit. Aber wenn Sie durchhalten, haben Sie die Aussicht, eines Tages wieder in Freiheit zu sein."