Eine Glosse von Alexander Schuller

Angefangen hatte es harmlos, mit einem verfressenen Kollegen aus der achten Etage, der plötzlich viel schlanker und fitter aussah als noch ein paar Monate zuvor, obwohl er in der Kantine stets einen Bogen um alle Gerichte machte, die nach Gesundheit und Kaloriensparen aussahen, rochen oder schmeckten. Seine Erklärung klang einleuchtend: "Ich verzichte konsequent auf den Fahrstuhl." Pro Etage (rauf) verlöre er acht Kalorien, runter drei, zusammen also 88!

Diese Nachricht wurde in den Flurfunk eingespeist, und so entwickelte sich binnen kürzester Zeit in unserer Firma die Bewegung : Wer künftig nach oben will, muss jetzt laufen, und das Benutzen der Aufzüge ist nur noch in Ausnahmefällen gestattet - etwa für Schwangere (ab dem siebten Monat), gegen Vorlage eines ärztlichen Attests und natürlich für Rollstuhlfahrer. Die Kantinenleitung hat auf der 4. Etage eine Verpflegungsstation eingerichtet, auf Etage 6 befindet sich eine Blutdruckmessstation der Betriebskrankenkasse. Die unverbesserlichen Kettenraucher haben aufgrund ihrer durchschnittlich zehn Rauchpausen pro Tag (unten auf der Straße) ihre eigene Betriebssportgruppe "Smokin' Runners" gegründet. Großformatige Warntafeln ("Rechts gehen, links spurten - einordnen lassen!") leisten wertvolle Dienste, um die Läufermassen in der Kernarbeitszeit zu koordinieren. Trotzdem diskutiert die Konzernspitze gerade, ob das Treppenhaus A zukünftig in "Rauf" und das Treppenhaus B in "Runter" benannt werden soll, um durch Einbahntreppenjogging schnellere Auf- und Abstiegszeiten erzielen zu können. Das Mitführen von mehr als zwei Schnellheftern ist schon seit Längerem nicht mehr erlaubt, High Heels und Schuhe mit glatten Ledersohlen sowieso nicht. Die wichtigste Regel allerdings lautet: Niemals den Chef überholen, auch wenn's schwerfällt. Sonst geht es auf der Karrieretreppe ganz schnell steil nach unten.