Die Gewalt an Hamburgs Schulen wird enttabuisiert - und das ist richtig so

Eltern mit schulpflichtigen Kindern treiben beim Thema Gewalt an Schulen zwei große Sorgen um: Da ist zum einen die zum Glück in der Regel recht abstrakte Furcht, Amokläufe wie in Winnenden oder Erfurt könnten sich auch an der Schule der eigenen Töchter und Söhne ereignen. Zum anderen und viel konkreter geht es um alltägliche Gewaltvorfälle - von der verbalen bis hin zur körperlichen Bedrohung, sexuellen Übergriffen, Raub oder Erpressung.

Hundertprozentige Sicherheit oder absoluten Schutz gibt es im Leben junger Menschen ebenso wenig wie später. Mit einiger Erleichterung lässt sich aber hinzufügen, dass es extreme Gewalttaten wie einen Amoklauf oder den ernsthaften Versuch dazu in Hamburg bislang nicht gegeben hat. Und es ist einigermaßen beruhigend zu wissen, dass es ein sehr entwickeltes System der Krisenintervention wie auch umfangreiche Angebote zur Gewaltprävention gibt.

Entscheidend für diese Entwicklung ist ein Bewusstseinswandel im Laufe der vergangenen fünf, sechs Jahre - in der Politik, aber vor allem an den Schulen, bei Schulleitern und Lehrern selbst. Es war die damalige Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL), in deren Amtszeit die umfangreiche und detaillierte Meldepflicht für Schulen bei Gewaltvorfällen 2008 eingeführt wurde. Dieses auf den ersten Blick ziemlich bürokratische Verfahren erlaubt erst den systematischen Blick auf die unterschiedlichen Formen schulischer Gewalt.

Wenn jetzt im Bereich der einfachen Körperverletzungen zum Beispiel beinahe eine Verdoppelung der Meldungen im Laufe eines Schuljahres registriert wird, dann bedeutet das nicht automatisch eine Explosion der Gewalt auf Hamburger Schulhöfen und in Schulklassen. Vielfach ist es so: Wo bei Schulen früher die Neigung bestand, alle vielleicht nicht ganz so gravierenden Fälle am liebsten unter den Tisch fallen zu lassen - auch aus Sorge um den guten Ruf der Schule -, gibt es nun verstärkt die Bereitschaft, die Dinge beim Namen zu nennen. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen.

Mit der schrittweisen Enttabuisierung des Gewaltthemas an Schulen - auch wenn noch ein langer Weg bleibt - sind auch alte Vorurteile zurückgedrängt worden. Heute ist die Bereitschaft von Lehrern deutlich gestiegen, mit der Polizei im Bereich der Prävention zusammenzuarbeiten. Das erfolgreiche Projekt Cop4U gibt dafür ein gutes Beispiel ab.

Gewaltprävention beginnt richtigerweise schon im Kindergartenalter, wo aggressive und zu häufigen Schlägen und Tritten neigende Kinder schon früh diagnostiziert werden. Ältere Schüler müssen lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Erste Anfänge werden zum Beispiel mit dem Projekt "Cool in School" gemacht.

Im Wesentlichen setzt der SPD-geführte Senat die Politik seines schwarz-grünen Vorgängers beim Thema Gewalt an Schulen fort. Es ist gut, dass es eine über Parteigrenzen hinwegreichende Übereinstimmung gibt, Pädagogik nicht länger gegen Sicherheit auszuspielen.

Nun wäre es blauäugig anzunehmen, dass die Probleme etwa schon gelöst wären. Auch wenn für Panikstimmung kein Anlass besteht, muss es darum gehen, Gewalt an Schulen weiter einzudämmen. Ein für Lehrer zunehmend belastenderer Bereich ist außerdem die verbale Rohheit von Schülern und die Bereitschaft, den Unterricht massiv zu stören.

Auch wenn es sich hierbei im strengen Sinne nicht um Gewaltdelikte handelt, so kann dadurch das Schulklima erheblich verschlechtert werden. Viele Schulen haben deswegen einen für alle verbindlichen Verhaltenskodex verabschiedet. Schule kann nicht alle familiären Defizite ausgleichen, aber für viele Jungen und Mädchen gilt: Wo, wenn nicht in der Schule, können sie den respektvollen Umgang mit dem Nächsten lernen?