Das sind die steinernen Figuren hoch oben an Hamburgs Nikolai-Kirchturm. Jetzt kommen auch die Gerüstbauer ihnen ganz nahe.

St. Nikolai. Präzise, geschickt und absolut schwindelfrei - Eigenschaften, die bei Gerüstbauern unerlässlich sind. Besonders wenn es um das Einrüsten eines Turmes wie den des Mahnmals von St. Nikolai geht, der zu den vierthöchsten Kirchenbauten der Welt zählt. Nun haben die Arbeiter ihr Werk in Hamburg vollendet - seit gestern ist die Westseite der Turmruine bis in 92 Meter Höhe eingerüstet. Nachdem sich im vergangenen August zehn Kilo schwere Brocken aus großer Höhe gelöst hatten und zu Boden gefallen waren, soll das Denkmal jetzt saniert werden. Es ist höchste Zeit - entdeckten die Gerüstbauer doch in 15 Meter Höhe eine Vier-Meter-Sandsteinsäule, die sich bereits gelockert hatte.

Mit dem vollendeten Gerüst ist die Vorbereitung abgeschlossen. Dazu gehören auch aufwendige Messbildaufnahmen vom Hubschrauber aus und von Industriekletterern. "Jetzt können die Gutachter alle Schäden am Turm ermitteln und quadratzentimetergenau kartieren", sagt Gerd Baum vom Bezirksamt Hamburg-Mitte, der als Leiter des Fachamtes Management des öffentlichen Raumes für die Sanierung verantwortlich ist. Projektkoordinatorin ist seine Mitarbeiterin Heike Schulze-Noethlichs. Das Mahnmal St. Nikolai, betonen sie, sei eine besonders spannende Herausforderung. So habe man die Einrüstung eines Turmes, der nach seiner Fertigstellung 1874 drei Jahre lang das höchste Bauwerk der Welt war, nicht irgendjemandem überlassen können. "Da muss ein Unternehmen über genügend Erfahrung und auch Material verfügen", sagt Heike Schulze-Noethlichs. Deswegen habe man sich für die Firma Meyer aus Preußisch Oldendorf entschieden, die auf die Restaurierung von Denkmälern spezialisiert ist und an der Teilsanierung des Mahnmals in den 90er-Jahren beteiligt war.

+++ Hamburgs Hauptkirchen +++

Wer den preußisch-oldendorfschen Gerüstbauern bei der Arbeit zugeschaut hat - wie Fotograf Alexander Mertsch -, fühlte sich unweigerlich an das berühmte Foto von Charles Ebbets erinnert. Der fotografierte im Jahr 1932 Arbeiter, die beim Bau des New Yorker Rockefeller-Centers in 250 Meter Höhe auf einem Stahlträger saßen und frühstückten. So locker ging es am Nikolai-Turm aber nicht zu - hier waren die Gerüstbauer bei ihren Einsätzen in schwindelerregender Höhe mit Seilen und Karabinerhaken gut gesichert.

Als der Kirchturm gebaut wurde, dürfte das anders gewesen sein. Grundsteinlegung von St. Nikolai war im September 1846, vier Jahre nach dem großen Brand, dem die Kirche als erstes der Hamburger Großgebäude zum Opfer fiel. 1195 als Kapelle für 300 Gottesdienstbesucher gegründet, war das Bauwerk bis dahin schon häufig vergrößert worden. Für den Neubau wurde ein Wettbewerb ausgelobt. Den gewann zwar Architekt Gottfried Semper, trotzdem entschied man sich für den Londoner Gilbert Scott. "Man wollte auch hier einen Kathedralbau, so wie die Städte Köln und Münster", sagt Architekt Bernard Brüggemann, der als Experte für historische Kirchen die Sanierung von St. Nikolai mit zwei Kollegen begleitet. Weil man mit einem neogotischen Prachtbau besonders Gottesfürchtigkeit demonstrieren wollte, wurde der Kölner Dombaumeister als Berater engagiert. So gibt es am Nikolai-Turm Zierden - Wasserspeier, Nixen und Dämonen -, die von unten nicht zu sehen sind. "Nur von Gott", sagt Brüggemann.

Doch auch Architektur unterliegt einer wechselnden Mode. So beschloss man nach dem Zweiten Weltkrieg, sich von der ausgebrannten neogotischen Kirche zu trennen: Nur der Turm sollte als Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft bleiben.

Die Turmspitze sowie die Ostseite und Teile der Nord- und Südfassade wurden vor knapp 20 Jahren bereits saniert. "Für eine komplette Sanierung fehlte das Geld", sagt Brüggemann. "Zur Sicherung gegen herabfallende Brocken haben wir nur den Zaun bauen können." Deswegen musste St. Nikolai jetzt erneut eingerüstet werden.

Wie teuer die Sanierung wird, wissen die Gutachter erst im Spätsommer, wenn alle Schäden aufgelistet sind. Die Summe könnte im niedrigen zweistelligen Millionenbereich liegen, schätzen Insider. Die Finanzierung ist noch ungeklärt. Bislang kamen 430 000 Euro von der Finanzbehörde (für das Gerüst), weitere 700 000 Euro von der Bürgerschaft (für die Messbildaufnahmen und andere Untersuchungen).