Sport-Leistungstests in der Grundschule sind eine Chance, keine Bedrohung

Dass sportliches Talent von Kindesbeinen an über Jahrzehnte systematisch erfasst wurde, bildete die Grundlage des Erfolges der Sportweltmacht DDR. Dem Westen gingen potenzielle Olympiasieger und Weltmeister durch das Auswahlprinzip Zufall in großer Zahl verloren. Bei immer weniger Kindern und immer mehr Freizeitangeboten ist es heute in der Bundesrepublik an der Zeit, bei der Talentsichtung methodisch und ideologiefrei vorzugehen. Schließlich gelten Triumphe im Sport als gewinnbringende Marketingmaßnahmen von Staaten, als Beweis ihrer Leistungskraft nach innen wie nach außen. Erfolgreiche Sportler werden als Botschafter verehrt, als Sympathieträger und Symbolfiguren. Deutschland aber gehen diese Typen aus, gerade in den olympischen Disziplinen.

Der Hamburger Sportbund (HSB), dort allen voran sein engagierter Referatsleiter Leistungssport Niclas Hildebrand, hat in den vergangenen Jahren mit seinen Fachverbänden, der Universität und Norbert Baumann vom Landesinstitut für Lehrerfortbildung ein flächendeckendes und nachhaltiges Konzept der Talentsuche entwickelt. Die Schulbehörde und Sportsenator Michael Neumann unterstützen den Verband bei seinem Vorgehen politisch wie finanziell und erhalten nebenbei einen gesellschaftlichen Mehrwert: den motorischen Status Hamburger Kinder im Grundschulalter. Dass künftig auch jene gefördert werden, die weniger begabt sind, und jene, die Hilfe brauchen, versteht sich bei einem von Sozialdemokraten geführten Senat.

Dass junge Menschen getestet, gewogen und ihre finale Körpergröße über ein statistisches Verfahren ermittelt wird, um ihren sportlichen Werdegang später, im Alter von zehn, elf Jahren, in erfolgreiche Bahnen zu lenken, mag manchen erschrecken. Ernst zu nehmende Stimmen zweifeln zudem an der Objektivität der Trainer, die in erster Linie die Interessen ihrer Verbände und nicht die der Kinder bedienen könnten. Weil über allem aber Freiwilligkeit steht, dazu in einem Gesellschaftssystem, das die elterliche Fürsorge über die öffentliche Bevormundung stellt, sollte jedes Angebot als Chance und nicht als Bedrohung verstanden werden.

Testergebnisse und Prognosen sind letztlich Macht. Und solange die allein bei den Betroffenen liegt, kann alles Wissenswerte hilfreich sein. Niemand soll in Hamburg gezwungen werden, einen Sport zu treiben, der ihm missfällt oder der ihn von seinen Freunden trennt. Das unterscheidet das Talentscreening hierzulande von dem der DDR, wo beispielsweise die Großen rudern und die Kleinen turnen mussten. In Hamburg geht es nur um Empfehlungen, jene Sportart auszuüben, die am ehesten den körperlichen Voraussetzungen entspricht. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, erfolgreich zu sein. Und das erspart manchem Jugendlichen irgendwann den Frust, Zeit und Kraft in das falsche Projekt gesteckt zu haben.

Dass wir uns in Deutschland wieder auf die Suche nach Eliten machen, was jahrzehntelang aufgrund unserer Geschichte anrüchig schien, ist mehr denn je ökonomischen Notwendigkeiten geschuldet. In einem Land, das kaum Rohstoffe hat, brauchen wir die klügsten Köpfe, und wir müssen sie früh finden und fördern, um Wohlstand für alle zu schaffen. Noch heute profitieren wir von den Erfindungen des 19. Jahrhunderts, zum Beispiel von denen der Autoindustrie.

Was jetzt an Hamburger Schulen im Sport geschieht, sollte beispielgebend für andere Fächer sein, für Mathematik, Physik, Chemie, Deutsch oder Musik - auch wenn diese Maßnahmen Geld kosten, das bislang in keinem Etat vorgesehen ist. In die Ressource Mensch zu investieren hat sich noch für jede Gesellschaft ausgezahlt. Es muss ja nicht unbedingt ein Olympiasieger werden, es darf auch mal ein Nobelpreisträger sein.