Zahl der Rotsünder steigt rapide. Polizei kündigt weitere Großkontrollen an

Hamburg. Das zweite Rotlicht, das von der Polizeikelle, ist nicht mehr zu ignorieren. Ein Polizeibeamter mit Schnauzbart und Warnweste hält den signalfarbenen Anhaltestab in der Hand und schwenkt ihn vor der Windschutzscheibe des BMW-Fahrers Peter N., 36. Der Beamte winkt den Autofahrer an die Straßenseite und teilt ihm mit, dass er in Kürze drei Punkte in der Flensburger Verkehrssünderkartei dazubekommen werde und außerdem 90 Euro zu bezahlen habe.

Peter N. war über Rot gefahren. Er gab sich wenig schuldbewusst - wie auch die meisten der anderen 271 Fahrzeugführer, die die Beamten gestern zwischen 7 und 20 Uhr vorübergehend aus dem Verkehr zogen. "Die Ahndung von Rotlichtverstößen wird in diesem Jahr hohe Priorität bei uns haben", sagt Polizeisprecherin Sandra Levgrün. "Denn die Zahl der Verstöße wie auch die der Unfälle steigt leider."

Was bereits der ADAC in einer Studie mit 24-Stunden-Kamera-Überwachung an vier Ampelkreuzungen als auch die Polizei, die gestern mit 186 Beamten an 17 Verkehrsknoten in Hamburg präsent war, feststellten, belegt ein Kurz-Test des Hamburger Abendblatts. Zwischen 12 und 13 Uhr zählten Mitarbeiter an der Kennedybrücke neben 513 Fahrzeugen, die bei grünem Licht in die Kreuzung einfuhren, 78 bei Gelb und 17 bei Rotlicht. Parallel fuhren an der Kreuzung Burgstraße/Grevenweg 363 Wagen bei Grün, 57 bei Gelb und 13 bei rotem Ampellicht. Ebenfalls zeitgleich maßen wir am Niendorfer Marktplatz in Richtung Kollaustraße. Hier waren 894 Fahrzeuge vorschriftsmäßig gesteuert worden, 41 in der Gelbphase und fünf bei eindeutigem Rotlicht in die Kreuzung bewegt worden.

Was für viele Auto-, Motorrad- und Fahrradfahrer wie ein Kavaliersdelikt erscheint, ist nach Ansicht von Verkehrsexperten wie Matthias Schmitting vom ADAC Hansa "gefährlicher Leichtsinn". Schmitting: "Wenn man sich vor Augen führt, wie schwer die Verletzungen sind, die durch Zusammenstöße auf Ampelkreuzungen entstehen, wird man dazu übergehen, lieber zu bremsen."

Für die oft dramatischen Folgen gibt es laut Schmitting zwei Gründe: Auch Autos mit moderner Sicherheitstechnik können die Fahrer und Passagiere beim Seitenaufprall nur bedingt schützen. Und: "Oft ist zumindest ein Auto bei entsprechenden Unfällen überdurchschnittlich schnell unterwegs, weil der Fahrer bei gelbem Ampelsignal beschleunigt, anstatt zu bremsen." Rast ein Auto mit 60 oder 70 Kilometern pro Stunde seitlich in ein anderes, sind fast ausnahmslos schwere Verletzungen die Folge. Polizeisprecherin Sandra Levgrün kündigte an, dass die Hamburger Polizei im gesamten Jahr 2012 Schwerpunkteinsätze gegen Rotlichtsünder durchführen werde: "Neben den zahlreichen stationären Anlagen, die es im Stadtgebiet gibt, müssen Autofahrer immer und überall mit Kontrollen an Ampeln rechnen."

Gleiches gilt laut Levgrün auch für Radfahrer, die gestern ebenfalls in großer Zahl gestoppt wurden. Beamte der Fahrradstaffel verhängten allein zwischen 7 und 14 Uhr 20 Bußgeldbescheide, bis zum Abend waren noch zahlreiche dazugekommen. Die Beamten hören dann häufig den Satz: "Ich dachte, ich schaffe es noch bei Gelb." Schon diese Einstellung, sagt Schmitting, sei falsch: "Wenn die Ampel von Grün auf Gelb springt, heißt das für Verkehrsteilnehmer, dass sie bremsen müssen. Viele geben lieber noch mal Gas. Doch das ist sowohl verboten als auch gefährlich."