Das Hamburger Matthiae-Mahl würde noch besser schmecken, wenn es das Schaffermahl in Bremen nicht gäbe

Tafeln mit Stil und Tradition. Auch diesmal wurde im Großen Festsaal des Hamburger Rathauses aufgefahren, dass sich die Tische bogen und mancher Jackettknopf ob zunehmender Leibesfülle an Sprengkraft gewann. So ist es seit 1356 gute Sitte, als das "Mahl des Heiligen Matthias" Premiere feierte. Grundsätzlich um den Matthias-Tag herum, der im Mittelalter als Frühlingsbeginn und Start des neuen Geschäftsjahres galt. Kaufleute hofften auf wirtschaftliche Blüte.

Früher erhielten die Senatoren ihre neuen Aufgaben und wählten den Ersten Bürgermeister. Das gehört der Vergangenheit an; damals wie heute jedoch pflegen die Hanseaten und ihre Gäste freudvoll den Speisen und dem Trunke zu frönen. Und das alles, so ist es erstklassige Sitte, zu Ehren Hamburg freundlich gesonnener Mächte.

Noch besser würde das Matthiae-Mahl schmecken, wenn die Bremer nicht wären.

Denn ein paar Tage zuvor, traditionell am zweiten Freitag im Februar, bitten die Hanse-Nachbarn zur Schaffermahlzeit in ihre Rathausdiele. Der Erlös, stets ein satter sechsstelliger Betrag, dient der Versorgung alter Kapitäne oder ihrer Witwen. Einstmals wurden die Kapitäne verabschiedet, bevor sie zum Frühjahr auf Große Fahrt gingen.

Zwar wird dieses Essen "erst" seit 1545 zelebriert und ist somit 189 Jahre jünger als das Gelage der Hamburger Rivalen, doch rühmen sich die Bremer der größeren Tradition. Und umgekehrt. Jüngst wurde die 468. Schaffermahlzeit ausgerichtet. Die Hamburger dagegen machten von 1724 an mehr als zwei Jahrhunderte Pause. Im Wettstreit um das älteste staatstragende Großessen der Erde einigte man sich außerhalb des Protokolls auf folgende Sprachregelung: Das Matthiae-Mahl ist das älteste noch begangene Festmahl der Welt, die Schaffermahlzeit ist das älteste Bruderschaftsfest der Welt.

Man muss das nicht unbedingt verstehen ...

Umso klarer ist die Konkurrenz zwischen den beiden Hansestädten. So geht das nun seit Jahrhunderten. Der Ärger begann, als Erzbischof Ansgar nach der Plünderung der Hammaburg anno 845 seinen Amtssitz von der größeren Stadt an der Elbe in die kleinere an der Weser verlegte. Ein Affront ohnegleichen, der den Pfeffersäcken in Hamburg schwer auf dem Magen lag.

"Schaffen, Schaffen unnen un boven, unnen un boven Schaffen!", sagen sie in der kleineren Schwesterstadt anlässlich der Schaffermahlzeit. In Hamburg zählt es zum feinen Ton, dass Studenten Musik von Georg Philipp Telemann spielen, die dieser 1724 zu diesem Anlass komponierte. Und gegenüber des Bremer Rathauses, über dem Portal des Kaufmannshauses Schütting, steht in goldenen Lettern: "Buten un binnen, wagen un winnen."

Diese Sprache verstehen sie von jeher exzellent - hier wie dort. Natürlich ist es Sitte, dass beim Festmahl des einen auch Ehrengäste aus der anderen Stadt zu Tisch gebeten werden. Mit einer gewichtigen Ausnahme: Während in Hamburg natürlich Damen dabei sein dürfen, ist das Schaffermahl eine reine Herrenrunde. Nach heftigen Diskussionen hinter verschlossenen Türen wurde eine Ausnahme gestattet, als Bundeskanzlerin Angela Merkel Einzug in die Männerbastion hielt. Ohnehin zählen Staatsoberhäupter aus aller Welt, Minister und Wirtschaftskapitäne hüben wie drüben zu den Stammgästen. Gilt es doch von jeher, den Nimbus der Stadt zu nähren - und sich selbst.

In puncto Würde, Stil und Tradition ähneln sich die beiden Großereignisse; auch Rituale, Regeln und Rollen sind präzise definiert. Darben muss niemand. Selbst wenn in Hamburg drei, in Bremen zwölf Gänge serviert werden. In Bremen geht ohne Frack, Fliege und Weste gar nichts. In Bremen sind 300 Herren dabei, in Hamburg zwischen 400 und 600 Damen und Herren. In Hamburg werden zwei Reden gehalten, in Bremen sind es elf. Einige Teilnehmer des Essens schätzen diese Unterbrechungen, um ein Nickerchen zu halten. Möglichst ohne allzu unangenehm aufzufallen.