Eine Betrachtung von Jenny Bauer

Eigentlich. Eigentlich hat diese Vitrine zu wenig Stauraum. Eigentlich ist dieses Kleid schon seit fünf Jahren nicht mehr tragbar. Und eigentlich ist die altdeutsche Schrift in diesem Buch kaum lesbar. Der Frühling naht, und damit wird es Zeit auszumisten, allen unnötigen Ballast abzuwerfen und Platz für neue Erinnerungen zu machen. Nein, dies ist keine Schleichwerbung für ein schwedisches Möbelhaus. Nur eine Selbstbeobachtung.

Aber manch Herz tut sich schwer, den guten alten Stücken, die einem doch so treu zur Seite standen, für immer Lebewohl zu sagen. Also wird eine Trennung auf Zeit entschieden. Die Jacken, Stühle und Schulbücher kommen auf den Dachboden, in den Keller oder seit Neuestem in einen extra dafür angemieteten Lagerraum - und verstauben dort. Werden vergessen.

Bis eines Tages die Nostalgie oder ein Nachkomme die Andenken birgt, die inzwischen zu wertvollen Schätzen geworden sind. Die Vitrine, die an die verstorbene Großmutter erinnert. Das Kleid, das inzwischen wieder modern ist. Retro nennt sich das. Und das Buch, das mittlerweile zum teuren Sammlerstück geworden ist.

Nicht immer ist der materielle Wert so hoch wie bei den Büchern, die im Bibliotheksmagazin des Christianeums lagern, aber die Zeit heilt nicht nur Wunden, sie steigert auch den Wert vieler Dinge. Manchmal müssen Sachen erst vergessen werden, um wieder Bewunderung auszulösen. Die Zeit als Wertsteigerung.

Vielleicht eine Erkenntnis, die beim anstehenden Frühjahrsputz bedacht werden sollte. Das gilt freilich nicht für alle Andenken und Begleiter des Alltags. Die misslungene Lasagne, die Telefonrechnung und der kratzige Pullover werden auch mit aller Zeit der Welt nicht besser.