Ein Schicksalsbericht von Alexander Schuller

Ein Bekannter, der als freier Programmierer zu Hause arbeitet, berichtete mir vor einem halben Jahr, er habe eine barrierefreie Wohnung gemietet. Er hatte natürlich gescherzt, denn es handelte sich bloß um eine Wohnung im Erdgeschoss - aber er "sei ja über 50". Neulich traf ich ihn wieder. Und erschrak. Denn er war stark abgemagert und erinnerte an einen Veganer, der drei Marathons pro Woche läuft. Ich wusste, dass er in einem Fitnessklub Mitglied war, und merkte höflich an, dass er es mit dem Training vielleicht übertreiben würde. Doch er schüttelte den Kopf: "Es sind die Nerven. Es läutet alle zehn Minuten an meiner Tür."

Ich schaute ziemlich doof aus der Wäsche, sodass mein Bekannter sich zu einer Erklärung genötigt sah: "Wer sich was im Internet bestellt, bekommt einen Liefertermin. Zum Beispiel heute, am 17. Februar 2012 zwischen 8 und 16 Uhr. Oder zwischen Ostern und Pfingsten um 13 Uhr." In Zeiten, in denen er jedenfalls meist zu Hause sei, während sämtliche Mitglieder der 18-Parteien-Hausgemeinschaft tagsüber ganz normal aushäusig arbeiten würden. "Und das", sagte er flüsternd, "wissen inzwischen alle Kurierfahrer und Paketboten in unserem Bezirk. Ich hätte von Anfang an nicht aufs Klingeln reagieren sollen ..."

Aber das hatte er. Sodass seine Wohnung inzwischen einem Warenlager gleichen würde. Schließlich seien ja immer einige seiner Nachbarn im Urlaub. Doch seit ein paar Tagen - plötzlich Ruhe. Der Appetit kam zurück, und er bestellte eine Pizza. Nach zwei Stunden klopfte es am Fenster: der Nachbar. "Haben Sie das bestellt? Ihre Klingel ist kaputt ..."