SPD-Chef von Mitte legt Vorsitz des Jugendhilfeausschusses nieder - um den Bürgermeister vor Schaden zu bewahren

Hamburg. Nach dem Rücktritt von Markus Schreiber als Bezirksamtsleiter kündigte jetzt auch der in die Kritik geratene SPD-Mitte-Chef Johannes Kahrs im Gespräch mit dem Abendblatt seinen Rücktritt als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses in Mitte an.

Abendblatt:

Herr Kahrs, halten Sie Markus Schreibers Rücktritt für richtig?

Johannes Kahrs:

Er war ein großartiger Bezirksamtsleiter. Ich schätze ihn sehr. In der aktuellen Situation war der Rücktritt aber unumgänglich.

Konnten Sie Markus Schreiber nicht mehr schützen?

Kahrs:

Ich glaube, Markus Schreiber hat gesehen, dass der Bürgermeister Schaden zu nehmen drohte und auch die gute Politik, die er, die wir in Hamburg machen. Das wollte Schreiber nicht verantworten. Das ist hoch ehrenwert.

Da haben Sie dann auch keinen Einfluss mehr drauf genommen?

Kahrs:

Ich habe seine Einstellung geteilt. Hätte Markus Schreiber die Mehrheit, die er im Bezirk hat, und die Unterstützung, die er im Kreis hat, genutzt, um die Untersuchungsergebnisse abzuwarten und erst danach die Frage der Verantwortung zu stellen, wäre es, glaube ich, schwierig gewesen, den Schaden auf Landesebene zu begrenzen.

Wo sehen Sie in diesem Fall Ihre Verantwortung als Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses?

Kahrs:

Ich persönlich glaube, dass wir als Jugendhilfeausschuss gemacht haben, was wir konnten - überdurchschnittlich viel. Ich will mich vor keiner Verantwortung drücken, aber wir sind ein Ausschuss, in dem 95 Prozent aller Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Das heißt, was man machen kann, haben wir gemacht. Die Mittel sind begrenzt, die Möglichkeiten auch.

Ihnen ist vorgeworfen worden, in Ihrer Funktion als Ausschussvorsitzender ein System von Abhängigkeiten aufgebaut zu haben. Was sagen Sie dazu?

Kahrs:

Das halte ich für absurd. Was wir in Hamburg-Mitte haben, ist eine Kultur, in der man miteinander arbeitet und gemeinsam Beschlüsse fasst. Wir haben irgendwann einmal entschieden, dass man sich besser mit dem politischen Gegner befasst, als sich untereinander zu prügeln wie die Kesselflicker.

Man fragt sich ja aber schon, warum Sie seit 18 Jahren Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses sind.

Kahrs:

Das hat auch etwas mit Leidenschaft zu tun. Politik heißt gestalten wollen. Der Jugendhilfeausschuss bietet wie kein anderer Ausschuss die Möglichkeit ...

Einfluss zu nehmen?

Kahrs:

... festzustellen, wie ein Stadtteil tickt, wo die Probleme liegen.

Das klingt danach, als ob alles so weiterlaufen kann im Jugendhilfeausschuss?

Kahrs:

Eigentlich hatte ich das auch vor. Bis Markus Schreiber mir sagte, dass er zurücktritt. In der Bürgerschaft wurde ja mit Ausnahme von Sozialsenator Detlef Scheele und der SPD von niemand die Sachebene bemüht. Das Ganze ist inzwischen in einer höheren politischen Dimension gelandet, in der die Opposition ihren gesammelten Lebensfrust über die Politik der letzten Jahre abgelassen hat. Es wurde über systemische Strukturen gesprochen statt über reale Politik. Ab einem bestimmen Zeitpunkt macht es einfach keinen Sinn mehr, gegen Vorurteile, gegen große Konstrukte anzulaufen. Wenn die Welle zu hoch ist, muss man sie tunneln.

Was heißt das jetzt?

Kahrs:

Das heißt, dass ich mein Amt als Jugendhilfeausschussvorsitzender zur nächsten Bezirksversammlung niederlege. Der Jugendhilfeausschuss muss dann einen Vorsitzenden wählen. Der kann dann unbelastet von diesen systemischen Strukturen und der gesamtpolitischen Debatte seine Arbeit machen.

War das Ihre Entscheidung, oder hat der Bürgermeister mit Ihnen gesprochen?

Kahrs:

Der Bürgermeister hat in dieser Woche nicht mit mir geredet. Die Frage, wer Jugendhilfeausschuss-Vorsitzender in Mitte ist, ist keine Frage, die der Bürgermeister entscheidet.

Hätte man nicht den 15. Februar abwarten müssen, um eine Entscheidung in der Personalie Schreiber zu fällen?

Kahrs:

Selbstverständlich! Dann hätte der Bericht der Innenrevision vorgelegen, und gemäß der Verabredung hätten wir dann auch über politische Verantwortung gesprochen. Das war nach den Äußerungen des Bürgermeisters und der Bürgerschaftssitzung samt Rücktrittsforderungen der Opposition politisch nicht mehr länger möglich, ohne den Bürgermeister zu beschädigen.

Was bedeutet das Vorgehen von Scholz für Ihr Verhältnis zum Bürgermeister?

Kahrs:

Wir werden unser Verhältnis sicher noch einmal besprechen müssen.