Ein Kommentar von Annette Stiekele

Festivals sind keine Selbstgänger. Das muss auch Thalia-Intendant Joachim Lux in diesem Jahr erleben. 2010 und 2011 hatte er die Lessingtage aus dem Stand mit sensationellem Erfolg etabliert, ein sicheres Händchen bei der Auswahl seiner zunehmend internationalen Gastspiele bewiesen. Seine Unerschrockenheit ließ ihn in diesem Jahr auf politischere und performativere Produktionen setzen. Das ging nicht immer auf.

Luk Percevals hochkonzentrierte Adaption von John M. Coetzees "In Ongenade (Schande)" war nur leidlich besucht, und bei Sebastian Nüblings "Three Kingdoms" schreckte manch einer vor der Dreisprachigkeit zurück. Im Vorjahr fanden Gastspiele aus Russland und China mühelos ihr Publikum. Damals gelang es offenbar besser, die jeweilige Community zu mobilisieren. Diesmal dürfte bei vielen vor allem der überflüssige Skandal um Rodrigo Garcías "Gólgota Picnic" hängen bleiben. Dennoch haben die Lessingtage jenseits von Zahlendruck und notwendigem ästhetischen Diskurs eine gesellschaftliche Funktion. Sie tragen ein wichtiges Thema in die Stadt. Überall traf man auf Besucher mit arabischen, osteuropäischen oder asiatischen Wurzeln. Menschen, die hier leben und in diesen Tagen spürten, dass das deutsche Stadttheater auch ihre Veranstaltung ist. Dafür braucht es das künstlerische Wagnis.