Nach dem Tod von Chantal muss Hamburg umdenken
Familien sind nicht immer so, wie sie für Kinder wünschenswert wären. Alkoholismus, Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit, materielle Not - es gibt viele krisenhafte Situationen, die Kindern das Leben schwer machen können. Aber Kinder sind duldsam. Oft lieben sie Mütter und Väter selbst dann noch, wenn ihr gemeinsames Leben schon lange leidet. Der Staat tut sich schwer damit einzuschreiten. Erst als allerletzte Möglichkeit nimmt er den Eltern die Kinder weg, bringt sie in Wohneinrichtungen unter oder bei Pflegefamilien.
Chantal war so ein Kind. Das Jugendamt im Bezirk Mitte hat zwar die Verantwortung für sie behalten, aber ihre Betreuung weitergereicht: an eine Einrichtung, die Geld dafür bekommt, um Kinder wie Chantal zu betreuen. Niemand hat von Amts wegen genau hingesehen, wo das Mädchen untergebracht war. Wie missglückt das Krisenmanagement in diesem Fall ist, zeigt der Tod der Elfjährigen, die an einer Überdosis Methadon gestorben ist. Die katastrophalen Zustände in der Pflegefamilie waren nicht bis zum Amt vorgedrungen.
Dieser tragische Fall wirft ein Schlaglicht auf die Arbeit der Jugendhilfe. Unzählige Einrichtungen in Hamburg und bundesweit profitieren davon, dass die Mitarbeiter der Jugendämter mit ihrer Arbeit nicht hinterherkommen und die Betreuung delegieren. Die freien Träger stehen dabei in einem harten Wettbewerb.
Ein langjähriger Jugendhilfe-Betreuer kritisiert zu Recht die mangelnde Kontrolle dieser Einrichtungen. Der Träger mit den besten Kontakten ins Jugendamt bekomme die Fälle - und damit das Geld, das den eigenen Laden am Laufen hält. Und wenn man sich nicht allzu sehr engagiert bei den Pflegefamilien, bleibt eben ein bisschen mehr hängen.
Das System der Kinder- und Jugendhilfe, so wie es derzeit aussieht, muss auf den Prüfstand. Erst dann wird man sehen, ob es nur im Jugendamt in Hamburg-Mitte eklatante Missstände gibt oder ob die gängige Praxis das Problem ist. Wir brauchen rasch ein Ergebnis. Jeder weitere Fehler könnte wieder ein Leben kosten.