Nach einem Jahrzehnt Leerstand werden Häuser nahe dem Airbus-Gelände mit öffentlichen Geldern saniert. Ortstermin in gebeuteltem Stadtteil.

Neuenfelde. Monika Quast, 60, steht oben auf dem Deich. Der kalte Regen scheint die kleine Frau nicht zu stören. Ihr Blick geht nach Norden. Links ragen die Kräne der Sietas-Werft in den Himmel, in der jetzt 350 Mitarbeiter ihren Job verlieren sollen. Der Niedergang von Deutschlands ältester Werft scheint unaufhaltsam.

Rechts liegt das riesige Gelände von Airbus. Nach einem Rekordjahr mit der höchsten Auslieferungsrate in der Geschichte will der Flugzeugbauer 4000 neue Mitarbeiter einstellen. Der Höhenflug hält an.

Monika Quast zeigt auf ihr Elternhaus, das ein paar Hundert Meter entfernt unten am Rande der Obstbaufelder steht. Leer steht. Es ist eines der Geisterhäuser, die den Eigentümern von der Stadt für Millionen abgekauft worden sind. Und nun von der Stadt für 1,3 Millionen Euro saniert werden sollen, um wieder vermietet zu werden.

Der Skandal wird korrigiert. Der Regen wird stärker.

Es gibt wohl keinen Ort in Hamburg, an dem sich Tradition und Moderne so nahekommen wie in Neuenfelde. Und mit solch einer Wucht aufeinandergeprallt sind, dass es dieses Dorf hinterm Deich mit seinen rund 5000 Bewohnern fast zerrissen hätte. Aber es ist noch da. Und soll nun neu belebt werden.

Im Vorfeld der heftig umstrittenen Airbus-Landebahn-Verlängerung von 2684 auf 3273 Meter hatte die Stadt den kompletten Straßenzug nahe der St. Pankratius-Kirche mit der berühmten Arp-Schnitger-Orgel nach und nach aufgekauft. Das ist etwa zehn Jahre her. Seitdem wird der kostbare Wohnraum im Grünen von der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga-GWG verwaltet. "Verfallen gelassen", sagen sie hier.

Eine Geistersiedlung entstand. Mit Bretterfenstern, bröckelnden Mauern, maroden Dächern, wuchernden Gärten. Nun stehen 1,3 Millionen Euro bereit, um 35 Häuser zu sanieren. Für die nicht sanierbaren 31 Häuser wird bis zum Juli eine Behördennutzung geprüft - andernfalls sollen sie abgerissen werden. Mit der Option der Neubebauung.

Die Geschichte des jahrzehntelangen Kampfes um lebenswertes Wohnen kennt viele Verlierer. "Nur zwei Hausbesitzer sind damals standhaft geblieben", sagt Monika Quast. Sie ist seit sieben Jahren 1. Vorsitzende des Heimatvereins Neuenfelde, der sich um die Erhaltung der Tradition, die Förderung des kulturellen Lebens und die Pflege der plattdeutschen Sprache kümmert. Mit den Kindern der "Neefeller Lütten Appelsnuten" führt sie alte Trachtentänze auf. Vor 37 Jahren kam sie aus Finkenwerder nach Neuenfelde.

"Ich habe eingeheiratet", sagt sie und lacht. Ihr Mann arbeitet bei Airbus. Und man ahnt, dass das in all den Jahren, in denen der Industriegigant immer mehr Fläche für sich beanspruchte, keine einfache Situation für die alteingesessene Familie gewesen ist.

Manche Freundschaften im Ort haben trotz unterschiedlichster Interessen gehalten. Manche Familien wurden zerrissen.

Monika Quast spricht von einer jahrelangen Verbitterung in Neuenfelde. Wer verkauft, wer bleibt standhaft? Wer arrangiert sich, wer trotzt dem Riesen? Nie erfuhr man, wie viel die Stadt den einzelnen Hausbesitzern für ihr Grundstück geboten und bezahlt hat. Eine Dauer-Atmosphäre des Misstrauens. Ihre Schwiegermutter war eine der Letzten, die ihr Haus verkauft haben. Ihr Vater ist durch die ständigen Kaufangebote so mürbe gemacht worden, dass er sein Haus "irgendwann schwarz anstreichen wollte". Manche, die verkauft haben und wegzogen, sind krank geworden, sagt Monika Quast.

"Wofür das alles?", fragen sich jetzt viele. Manchen fehlen für den Irrsinn schlicht die Worte.

Das "Geisterdorf Neuenfelde" hat auch den Bund der Steuerzahler auf den Plan gerufen. Er monierte den Kauf von 86 Wohnungseinheiten, von denen zwei Drittel seit 2004 leer standen - aus Angst vor Klagen gegen Lärmbelästigung durch Airbus. Völlig grundlos, wie ein Gutachten gezeigt habe, so der Steuerzahlerbund. Die Kosten für Sanierung und Mietausfälle von 7,8 Millionen Euro seien vermeidbar gewesen.

"Das sind auch meine Steuergelder", sagt Klaus Quast, 55. Einer der letzten Ladenbesitzer, die in Neuenfelde ausharren. Es gibt noch einen Schlachter und eine Bäckereifiliale. Und Lidl. Der Drogist verkauft so ziemlich alles in seinem Geschäft. "Hier, sehen Sie, wir haben auch Montageschaum." Hat er mal überlegt, sein Geschäft aufzugeben? "Nein, es macht mir Spaß, und ich muss auch nicht viel Geld verdienen." Seit 35 Jahren betreibt er den Laden. "Früher gab es einmal 850 Drogisten in Hamburg, jetzt sind es noch drei", sagt er nicht ohne Stolz.

Die Altländer gelten als fleißig, hartnäckig und eigenwillig. "Aus Sumpf und Moor entstand durch zähe Arbeit und trotziges Ausharren harter Siedler der Boden unserer Landschaft, mit ihm erwuchs ein blühendes städtisches Gemeinwesen", heißt es in einem Zeitungsartikel aus dem vorigen Jahrhundert. Und die Neuenfelder? "Das waren über Jahrhunderte Menschen, die sich gewehrt haben", sagt Klaus Quast.

Manchmal waren die Kräfte übermächtig. Vor 50 Jahren richtete die verheerende Sturmflut auch in Neuenfelde schwere Zerstörungen an. Zahlreiche Deiche hielten den Wassermassen nicht stand. Zehn Menschen starben, als die Fluten über das Dorf hereinbrachen. Mit einem Gottesdienst und einer Gedenkveranstaltung erinnern die Bewohner am 16. und am 17. Februar in der Kirche und im Schützenheim an die große Katastrophe.

In Neuenfelde wissen sie längst, dass die Gefährdung der Idylle im Grunde das Leben ausmacht. Und oft rücken die Menschen zusammen, wenn das Unglück zum lästigen Begleiter wird.

"Es gibt noch echte Nachbarschaft und einen dörflichen Charakter", sagt Manfred Hoffmann, 77. Der Sprecher der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz wohnt seit 40 Jahren hier. Er spricht von einer "Atmosphäre, die so etwas wie Heimat vermittelt". Man versteht sich, man hilft sich.

Was es nicht gebe, sei ein einheitliches Gebilde. Da ist das Dorf rund um die Kirche, da sind die Obstbauern, und da ist die Seehofsiedlung mit rund 2500 Bewohnern. Viele arbeiten bei Sietas und müssen nun um ihren Job fürchten. Wieder geht es ums Überleben.

Manfred Hoffmann spricht von einem "schwierigen Spagat" zwischen dem Erhalt der historischen Kulturlandschaft und neuen Entwicklungsmöglichkeiten, denen man sich nicht verschließen darf. Er erzählt von älteren Bewohnern, die beim Thema Airbus "immer noch an die Decke gehen". Und von Obstbauern, die für gutes Geld Zimmer an Monteure vermieten. "Das sind ja kluge Leute", sagt er und lächelt.

Was ihn optimistisch stimmt, wenn er an Neuenfelde in zehn Jahren denkt? "Es gibt inzwischen ein gemeinsames Nachdenken aller Beteiligten über die Zukunft", sagt er. Die Politiker hätten verstanden, dass sie mit den Bürgern vor Ort sprechen müssten. Das Ende des Leerstandes sei "ein erfreuliches Ergebnis".

Klaus Quast ist skeptisch, er verlangt "Butter bei die Fische" und will erst mal sehen, "dass auch wirklich was passiert". Monika Quast sagt, dass der Neuenfelder im Grunde sehr genügsam sei und nicht so fordernd. "Wir machen unser eigenes Ding. Und das oft aus der Not heraus, weil man uns ja gar nicht auf der Rechnung hat. Wir sind noch ziemlich artig", sagt sie. "Aber wir lassen uns auch nicht veralbern."