Tierschützer entdecken in Stichproben auch aus Hamburger Supermärkten resistente Bakterien. Die Keime können zum Tod führen.

Berlin/Hamburg. Jede zweite Hähnchenfleisch-Portion aus deutschen Supermärkten ist einer Stichprobe zufolge mit Bakterien belastet, die gegen viele Antibiotika resistent sind. Auf zehn von 20 in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und in der Region um Stuttgart gekauften Fleischproben seien sogenannte ESBL-Keime gefunden worden; zwei Proben seien mit MRSA-Keimen belastet, teilte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gestern in Berlin mit.

Die Keime entstünden, weil in der konventionellen Tierhaltung systematisch große Mengen Antibiotika eingesetzt würden. Ende 2011 hatten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Studien veröffentlicht, die den Einsatz dieser Medikamente in der Massentierhaltung offenlegten. Demnach werden beispielsweise in Niedersachsen in 82 Prozent der Masthuhnbetriebe Antibiotika eingesetzt. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) kündigte Gegenmaßnahmen an: Sie will noch in dieser Woche im Bundeskabinett einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorlegen, um den Einsatz von Antibiotika drastisch reduzieren.

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Mit ESBL verunreinigt waren dem BUND zufolge unter anderem drei Proben des Hähnchenlieferanten Wiesenhof, welche die Tester bei Edeka in Berlin, Netto in Köln und Lidl in der Stuttgarter Region gekauft hatten. Auch drei Proben des Lieferanten Sprehe wiesen ESBL-Keime auf, gekauft wurden sie bei Rewe in Köln und bei Edeka in Nürnberg. Eine weitere Hähnchenfleischprobe von "Sprehe", gekauft bei Rewe in Hamburg, habe MRSA-Keime enthalten. Vier Proben von "Stolle", zwei davon gekauft bei Penny in Berlin und zwei bei Netto in Hamburg, wiesen ESBL-Keime auf, eine der bei Netto in Hamburg gekauften Proben enthielt MRSA. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was sind ESBL und MRSA?

ESBL steht für Extended Spectrum Beta-Lactamasen. Die Bezeichnung bezieht sich auf Bakterienstämme, die ein Enzym namens ESBL bilden, das eine Vielzahl von Antibiotika unwirksam machen kann. Bekannt sind solche Stämme etwa von Klebsiella pneumoniae (besiedeln vor allem die Lunge) und einigen Unterarten von Escherichia coli (besiedeln vor allem den Darm). In einigen Fällen haben sich ESBL resistent gegen alle verfügbaren Antibiotika erwiesen. MRSA steht für Methicillin-resistente Staphylokokkus aureus. Dabei handelt es sich um Keime vom Typ Staphylokokkus aureus, die resistent gegen Penicilline und einige andere Antibiotika sind. Diese Keime reagieren aber meist noch empfindlich auf sogenannte Reserveantibiotika.

Für wen sind diese Keime gefährlich?

Gesunden Menschen können die meisten Erreger in der Regel nichts anhaben. Für Kranke oder ältere Menschen, deren Immunsystem geschwächt oder nicht mehr so stark ist, können besonders die multiresistenten Keime gefährlich werden, weil sie sich schlecht mit Antibiotika behandeln lassen.

Wie kommen multiresistente Bakterien auf Hähnchenfleisch?

Antibiotika, die Menschen oder Tieren zur Behandlung gegeben werden, wirken nie nur auf den Erreger, der eine Infektion verursacht, sondern auch auf nützliche Bakterien, die etwa auf der Haut oder im Darm leben. Tötet ein Antibiotikum viele gut angepasste, nützliche Keime, entsteht Platz für resistente Bakterien, die sich nun leichter vermehren können. Trägt ein Hähnchen resistente Bakterien auf der Haut, können diese bei der Schlachtung auf das rohe Fleisch wandern und so bis zum Verbraucher gelangen.

Ist auch Tiefkühlware betroffen?

Die aktuelle Stichprobe des BUND stammt von roh abgepacktem Fleisch. Das Robert-Koch-Institut fand 2009 jedoch auch im Auftauwasser von tiefgekühlten Hähnchen Keime vom Typ MRSA. Also: keine Entwarnung.

Ist Bio-Hähnchenfleisch unbedenklich?

Nicht grundsätzlich. Allerdings ist das Risiko einer Verunreinigung womöglich deutlich geringer. So dürfen zwar auch in der Mast von Bio-Hähnchen Antibiotika eingesetzt werden, jedoch nur bei einzelnen erkrankten Tieren. Dagegen dürfen Landwirte in der konventionellen Mast ihren ganzen Bestand "metaphylaktisch" behandeln, wenn einzelne Tiere betroffen sind. Insofern hätten es multiresistente Keime in der ökologischen Haltung schwerer, sich durchzusetzen, sagt BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning.

Wie kann man sich schützen?

Armin Valet, Lebensmittelchemiker von der Hamburger Verbraucherzentrale, rät, bei der Zubereitung "streng auf Hygiene zu achten". Dazu gehöre, rohes Geflügelfleisch abzuwaschen und es bei mindestens 70 Grad mindestens zehn Minuten lang zu erhitzen. Gefrorenes Fleisch sollte man im Kühlschrank auftauen; durch Wärme könnten sich Keime stark vermehren. Auftauwasser sollte man entsorgen; alle Flächen, die mit rohem Fleisch in Kontakt gekommen sind, sollte man gründlich reinigen, Schneidebretter am besten in der Spülmaschine. Und: Nach der Zubereitung sollte man sich gründlich mit Seife die Hände waschen.