Aus gesundheitlichen Gründen hört der Geistliche in Winterhude nach 19 Jahren auf und wird Schulseelsorger. Nachfolger steht nicht fest.

Hamburg. Freitags denkt er oft an sonntags. An die Botschaft seiner nächsten Predigt. Meist versuche er dafür, die wichtigste Nachricht der Woche mit dem Evangelium zu verknüpfen, sagt Johannes Pricker .

Auch heute Abend wird er sich die richtigen Worte für Sonntag überlegen. Es wird um Abschied gehen. Um seinen eigenen. Nach 19 Jahren an St. Antonius. "Wie ich mich kenne, werde ich zwar etwas vorbereiten, aber dann doch aus dem Herzen sprechen", sagt der 54-jährige Seelsorger. So wie er es immer getan hat in seinen Gottesdiensten, die stets so gut besucht waren wie andere Kirchen nicht mal am Heiligen Abend. "Wenn ich übermorgen in die Gesichter der Menschen schaue, die ich über eine so lange Zeit begleitet habe, dann werde ich da nicht cool stehen", sagt der Priester, der sich jetzt, so seine Ärzte, um seine Gesundheit statt um seine Gemeinde kümmern muss. Er könne es gar nicht fassen, dass schon 19 Jahre vergangen seien, seit er als junger Priester in die katholische Gemeinde an der Alsterdorfer Straße kam. 19 Jahre, in denen der Seelsorger getraut, beerdigt und "eine ganze Kleinstadt" voller Kinder getauft hat, wie Pastor Pricker lachend sagt. Längst ist bei seinen norddeutschen Schäflein aus dem katholischen Pfarrer der "Pastor Pricker" geworden - so sieht sprachliche Ökumene aus.

+++ Priestermangel +++

+++ Mehr als 1000 Gäste kamen zum 100. Geburtstag von St. Antonius +++

Der Abschied schmerze ihn schon sehr, sagt der gebürtige Niedersachse, der vor knapp 30 Jahren in Osnabrück zum Priester geweiht wurde. Und der Abschied schmerzt auch die 7000 Mitglieder der Gemeinde, von denen so manche nur wegen des engagierten und beliebten Mannes, der mindestens so viel Humor wie Herzenswärme hat, erst wieder zum Glauben zurückgefunden haben. Bei der Zahl der Wiedereintritte lag Prickers Gemeinde innerhalb des Erzbistums stets ganz weit vorn.

Die Nachfolge, so viel steht fest, wird schwierig. Auch wegen des akuten Priestermangels in der katholischen Kirche. "Es gibt kaum Nachwuchs. Das ist in vielen Bistümern ein Problem, da bildet Hamburg leider keine Ausnahme", sagt Manfred Nielen, Sprecher des Erzbistums Hamburg. In pastoraler Hinsicht gilt die katholische Kirche seit Jahren als Not leidend. Das Beten um mehr Priester, zu dem Papst und Bischöfe schon mal aufrufen, hat bisher wenig geholfen. Zum Vergleich: Waren 1960 in Deutschland noch 15 500 Geistliche in der Pfarrseelsorge tätig, waren es 2010 nur noch 8500. Gerade noch 150 Männer wollten im Jahr 2010 hierzulande katholische Priester werden.

Gehen Geistliche in den Ruhestand oder scheiden sie, wie Johannes Pricker, aus gesundheitlichen Gründen aus, so können ihre Stellen oft nicht neu besetzt werden. Die Folge: Das "Unternehmen Kirche" muss neu strukturiert werden - so wie von der Krise schwer getroffene Firmen. Manfred Nielen vom Erzbistum Hamburg spricht von "pastoralen Räumen", die eingerichtet würden, und meint damit, dass einst eigenständige Pfarrgemeinden zusammengelegt werden. Dass ein Pfarrer für mehrere Gemeinden zuständig ist, ist in vielen Diözesen längst Alltag. "Dass ein Pfarrer sich auch um die Nachbargemeinde kümmert, ist zumindest immer wieder eine Übergangslösung", sagt Manfred Nielen. So wird auch die Gemeinde St. Antonius erst einmal von den Dominikanern, die an St. Sophien in Barmbek-Süd wirken, mitbetreut. Außerdem werde ein Gemeindereferent angestellt. "Es lässt sich im Augenblick schwer sagen, wann ein Nachfolger für Johannes Pricker gefunden sein wird", sagt Manfred Nielen.

Priester ist eine 24-Stunden-Berufung. "Es gibt im Grunde keine Pausen. Ohne meine 100 ehrenamtlichen Mitarbeiter hier an St. Antonius wäre ich auch manches Mal verzweifelt", sagt Johannes Pricker, der in Frankfurt am Main Theologie und Philosophie studierte und seine erste Stelle an der Propsteikirche St. Johann in Bremen antrat. Dort sei er Pastor, Polizeiseelsorger und Studentenpfarrer gleichzeitig gewesen. "Manchmal frage ich mich, woher ich die Kraft genommen habe." Wird über Ursachen für den Priestermangel in der katholischen Kirche diskutiert, geht es in der öffentlichen Debatte sofort um den Zölibat und die Tatsache, dass Frauen nicht als Priester zugelassen sind. Doch auch die evangelische Kirche beklagt einen zunehmenden "Fachkräftemangel", wie der Hamburger Hauptpastor und Propst Johann Hinrich Claussen es nennt. "Auch in der evangelischen Kirche fehlt es an Nachwuchs - wenn auch nicht in der Dimension wie bei den Katholiken." Man sei jetzt dabei, bei jungen Menschen für ein Theologiestudium und den Beruf des Pfarrers zu werben.

Dass Johannes Pricker die katholische Gemeinde St. Antonius verlasse, sei "sehr, sehr bedauerlich", sagt Claussen. "Mit ihm geht ein hoch geschätzter Kollege der Ökumene." Doch als Seelsorger wird Johannes Pricker auch in Zukunft tätig sein - voraussichtlich im Niels-Stensen-Gymnasium an der Barlachstraße. "Ich will versuchen, für Schüler, Eltern und Lehrer da zu sein und die jungen Menschen zu erreichen", sagt Johannes Pricker. Das wird er schaffen, da sind sich die Gemeindemitglieder von St. Antonius sicher. Weil Pfarrer Pricker aus dem Herzen spricht. Und so die richtigen Worte findet. Wie in seinen Gottesdiensten. "Natürlich muss ein katholischer Gottesdienst formalisiert sein", sagt er. "Aber es muss immer auch ausreichend Raum sein für menschliche Regung." Die zeigten auch viele prominente Kirchgänger in Winterhude. "Tagesschau"-Sprecher Marc Bator und seine Frau Hellen ließen sich von Pastor Pricker trauen, und Moderator Reinhold Beckmann sprach in der von Pricker initiierten Vortragsreihe "Kirche und Medien" über das sechste Gebot, "Du sollst nicht ehebrechen".

Heute Abend wird Johannes Pricker nicht nur an Sonntag denken, sondern an alle Tage, die er in St. Antonius gewirkt hat. "Es wurde geweint, aber vor allem auch viel gelacht", sagt er. Die Stimmung sei "humorvoll-freudig" in seiner Gemeinde. "Die Grundmelodie ist harmonisch", sagt er. Und vielleicht gerade, weil die Katholiken in der Hansestadt in der Minderheit seien, sei der Zusammenhalt so groß.

Eine Predigt muss Johannes Pricker an diesem Freitagabend für Sonntag nicht vorbereiten. Die hält nämlich Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Zum Abschied für einen geschätzten Pfarrer, der das Leben vieler Hamburger entscheidend geprägt hat.