Nicht jede Krise ist gleich eine Krankheit

So mancher wird sich noch an die Zeit erinnern, als Kinder im Auto nicht angeschnallt waren; die Luft, in der sie spielten, war nicht selten durch Abgase verpestet, und wenn es familiäre Probleme gab, war eher der Mantel des Schweigens gefragt als offene Worte und der Gang zum Experten - wenn er denn überhaupt möglich war. Heute ist das anders: Die Gesellschaft ist in hohem Maße für die Probleme von Kindern und Jugendlichen sensibilisiert, und das ist gut so.

Die neue Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Osdorfer Born bietet eine offene Tür für Sorgen und Nöte in einem Stadtteil, wo Hilfe gefragt ist. Wenn Sucht-, Missbrauchs- und Beziehungsprobleme oder familiäre Schwierigkeiten, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, Kinderseelen belasten, kann hier das Nötige mit Sensibilität und Kompetenz veranlasst werden. Dabei ist nicht jede Krise eines Kindes - egal ob im sozial schwierigen Milieu oder in sogenannten besseren Kreisen - gleich eine Krankheit, wie auch der zuständige Chefarzt der Asklepios-Klinik Harburg angenehm unaufgeregt betont. Wenn eine Gesellschaft den Leistungsgedanken und die Fokussierung auf Materielles so in den Vordergrund stelle, müsse man sich nicht wundern, dass auch Kinder einer höheren, ungesunden Stressbelastung ausgesetzt seien. Sein Rezept ist einfach und doch eine Herausforderung: Viel Zuwendung und feste Strukturen geben Kindern den nötigen Halt.

Dass in Großstädten wie Hamburg immer mehr Kinder der Wirkstoff Methylphenidat, besser bekannt als Ritalin, gegen das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom gegeben wird, ist dabei besonders erschreckend. Die langfristigen Folgen sind noch unklar. Und wenn so viele Kinder in ihren Eigenarten für "schwierig" und krank erklärt werden, muss man sich fragen, was in einer Gesellschaft eigentlich noch normal ist.