Eine Glosse von Juliane Kmieciak

Im Kiosk an der Haltestelle Lutterothstraße (U 2) gehört der Morgen den Eiligen. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft, denn wir alle nehmen immer die Bahn um 8.46 Uhr und treffen uns zumeist zwischen 8.42 und 8.45 Uhr im Kiosk auf dem Bahnsteig, um noch rasch den täglichen Bedarf an Süßigkeiten, Brötchen, Zeitungen und/oder Zigaretten zu decken. Das ungeschriebene Gesetz lautet: Zeit ist abgezähltes Münzgeld.

Gestern Morgen kam uns dann ein Fremder dazwischen. Er hatte die Ruhe weg, konnte sich einfach nicht entscheiden: zwei Brötchen, mit Camembert, Ei, oder Schinken? Dann noch ein Croissant ... Nein, zwei, in einer Extratüte, bitte! Den Kaffee nicht ganz so voll, ich brauch noch Milch ... Und noch zwei Schokoriegel!

8.44 Uhr. Unser Murren steigerte sich in einen Orkan der Entrüstung. Als der Fremde dann auch noch einen Hunderter zückte, kippte die Stimmung endgültig. Zeitungen wurden aus Ständern gerissen, Süßigkeiten eingesackt; einer griff am Tresen vorbei nach seiner Stammmarke Kippen und von überallher regnete es Kleingeld. Der Zug fuhr gerade ein, die Waggontüren öffneten sich. Die Meute hetzte aus dem Kiosk und enterte die U-Bahn. Auch ich hätte sie noch kriegen können. Doch mein Blick ruhte längst auf dem Brötchensortiment. Denn plötzlich war da dieser unerhörte Gedanke: Warum die Bahn nicht einfach sausen lassen? Die nächste würde ja schon in vier Minuten kommen. Zwei Camembert-Brötchen, das wär's jetzt. Oder einmal Schinken und einmal Camembert? Hinter mir begann das Murren der 8.51-Uhr-Gruppe. Och, dann noch einen Croissant - in einer Extratüte! Nur schade, dass ich keinen Hunderter dabeihatte ...