Der Kampf ums Weiße Haus ist brachialer denn je. Doch die US-Demokratie funktioniert

Es gehört zu den Besonderheiten des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes, dass sich in ihm alle Stärken und Schwächen der US-Demokratie zeigen. In diesem Jahr tun sich geradezu die Abgründe einer Supermacht auf. Es sind noch elf Monate bis zur Kür eines neuen oder der Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Barack Obama. Aber der Wahnsinn dieses Rennens hat nicht nur Amerika im Griff.

Mit Bangen schaut die Welt auf die Polit-Clowns der Republikaner, die mit verbalen Ausrutschern und radikalen Ansichten durch ihre Vorwahlen taumeln. Dass Newt Gingrich, Mitt Romney und ihre Mitstreiter der Grand Old Party von der Welt außerhalb der USA nicht viel verstehen, passt in ihre holzschnittartigen Kampagnen. Jedoch muss sich niemand zwischen Berlin und Jerusalem, Peking und Teheran sorgen, dass je ein Mr. Seltsam ins Weiße Haus einzöge.

Selbst bei einem Sieg der Republikaner ginge der von Obama eingeschlagene Weg einer Annäherung im Asien-Pazifik-Raum, einer Kontinuität der Nahost-Politik und der engen Verzahnung mit Europa weiter. Abgründe tun sich allerdings innerhalb der US-Gesellschaft auf. Mal wieder in letzter Sekunde ist der Staatsbankrott abgewendet worden. Die traditionelle Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern wird von der konservativen Tea-Party-Bewegung und den Occupy-Demonstranten unter Druck gesetzt. So gespalten, verletzt und in Aufruhr ist die Seele des Landes nicht mehr seit den 60er-Jahren. Die Wirtschaftskrise hat ein Heer von Arbeitslosen erzeugt, denen selbst im optimistischsten Flecken der Erde die Hoffnung schwindet. Straßen, Gebäude, Stromtrassen sind marode. Nach der Immobilienkrise und dem Verlust des eigenen Heims bangen Millionen Amerikaner um ihre Altersvorsorge, deren schwindenden Wert sie an den Börsen ablesen können. Steuererhöhungen sind oft Gift für die lahmende Konjunktur. Doch die Einnahmen der Staatskasse gehen zurück, während die Ausgaben galoppieren. Mit Kosmetik und höheren Beiträgen von Wohlhabenden, das weiß Obama, kann er das gigantische Haushaltsloch nicht schließen. Dass sich die Republikaner gegen Steuererhöhungen, den Ausbau der Hilfe für die Armen und die Gesundheitsreform stemmen - geschenkt.

Doch dieser Streit belegt, dass Amerika einen Wahlkampf führt, der unter dem alten Slogan "Freiheit oder Sozialismus" gefasst werden kann. So radikal ist die Rhetorik, so brachial der Kampf ums Weiße Haus geworden. Dabei verstehen nicht mal die, die von einer Gesundheitsreform profitieren würden, dass Obamas Versprechen weit von Staatsmedizin entfernt ist. Um Verstaatlichungen muss sich in den USA niemand sorgen. Die Inhalte werden ohnehin verschwimmen vor den Knalleffekten der Präsidentschaftskampagne. Die US-Demokratie hat in gut 230 Jahren die größte Politik-Show der Welt hervorgebracht. Aber ihr System von Kontrolle und Balance funktioniert besser, als man meint. Der monarchengleiche Präsident ist innenpolitisch nur Erfüllungsgehilfe eines autonomen Kongresses. Das musste Obama wieder spüren, als er jetzt ein Gesetz unterschrieb, das ihm gegen den Strich geht. Es gewährt ein hohes Militärbudget und räumt den Streitkräften Sonderrechte ein, die er abschaffen wollte wie das Gefangenenlager Guantánamo.

Obama hat die Wirtschaftskrise nicht wegregieren können. Er hat Kriege beendet, als Friedensnobelpreisträger ein Killerkommando gegen den amerikanischen Albtraum Osama Bin Laden losgeschickt, hat die Herabstufung von God's own country an den Finanzmärkten hinnehmen müssen.

In seiner Antrittsrede hat Obama gesagt, Amerika sei das Land, in dem Christen, Juden und Muslime eine Heimat hätten. Ebenso jene, denen ein Gott gar nichts bedeute. In diesem Jahr wird der Präsident die Ungläubigen wieder an einen amerikanischen Traum erinnern müssen.