Ein Kommentar von Thomas Andre

Übersetzer fristen immer ein Schattendasein; das ist so, weil sie nie dem Genie-Verdacht ausgesetzt sind. Sie übertragen die Ideen eines anderen in eine andere Sprache. Das kann man "kongenial" nennen, weil es die Einfühlung in eine fremde Poesie und eine weitgehend verlustfreie Adaption durch sprachliche Finesse voraussetzt. Nikolaus Stingl hat viel Mühe bei seiner Übersetzung des 1100-Seiten-Kolosses "Der Tunnel" walten lassen. Es ist ihm gelungen, das schwierige Werk des Amerikaners William H. Gass genau auf die Weise zu übertragen, dass der handlungsarme und gedankenschwere Text auch im Deutschen dunkel und dräuend dahinfließt.

Nun liegt es zwar vor allem, aber nicht nur an dem speziellen Charakter des dickleibigen Werks, an seiner literarischen Qualität und seinem wuchernden Anspruch, dass "Der Tunnel" erst anderthalb Jahrzehnte nach dem Original erscheint. Nein: "Der Tunnel" ist vor allem auch ein Beispiel literarischen Langmuts. Wie schon bei David Foster Wallace' "Unendlicher Spaß" gönnen die Verlage ästhetischen Wagnissen die Übersetzungsarbeit, die sie benötigen. Geduld ist ja keineswegs immer die Stärke der Verlage: Oft genug müssen Autoren wie Jonathan Franzen von mehreren Personen in nur wenigen Monaten übersetzt werden. Was man dem Ergebnis keineswegs selten ansieht. Übersetzen ist eine Kunst, sie braucht Zeit.