Hamburger Firmen werden famlienfreundlicher. Sie bieten flexible Arbeitszeiten und Betreuung des Nachwuchses an. Das Abendblatt zeigt Beispiele.

Hamburg. Ein kleiner Junge versucht, den Geschwindigkeitsrekord auf der Rutsche zu brechen. Andere Kinder tummeln sich derweil im Spielhaus. Es ist laut im Hof des Kindergartens vom Grand Elysée. Kreischen, Spielen, Lachen. Das Hotel betreibt die Einrichtung bereits seit 1992. Nun entdecken immer mehr Unternehmen das Thema Familienfreundlichkeit für sich. Mit firmeneigenen Kindertagesstätten, wie unter anderem bei Beiersdorf, Helm, Axel Springer und Airbus, oder mit Arbeitszeitmodellen, bei denen Mitarbeiter flexibel reagieren können, sollte der Nachwuchs mal krank sein, wollen Arbeitgeber die besten Mitarbeiter in ihre Firma locken und halten. Heute schmücken sich bereits 103 Unternehmen in Hamburg mit dem Familiensiegel, einer Auszeichnung der Handels-, der Handwerkskammer und der Stadt.

Mittelständische Firmen, die eine besonders familienfreundliche Personalpolitik betreiben, werden so gewürdigt. Seit dem Jahr 2007 gibt es diese Initiative - und sie findet reges Interesse. "Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wird es für Unternehmen immer wichtiger, gute Mitarbeiter an sich zu binden", sagt Christina Boll, Leiterin des Themenbereichs Personalpolitik beim Wirtschaftsforschungsinstitut HWWI, dem Abendblatt. "Die Mitarbeiter erwarten Unterstützung, zumal meist beide Partner berufstätig sein wollen."

Relativ neu dabei ist das Hanseatische Wein & Sektkontor Hawesko. "Wir wollen ein attraktiver Arbeitgeber sein", sagt Hawesko-Sprecher Eckhard Hillmann. Wenn etwa Kinder von Mitarbeitern längere Zeit krank sind, können die Beschäftigten zu Hause bleiben. Die nicht geleistete Arbeitszeit wird mit künftigen Überstunden im Rahmen eines Jahresarbeitszeitkontos verrechnet. Zudem gibt es die Möglichkeit zur zeitweiligen Teilzeit- und Heimarbeit. Beschäftigte können auch eine finanzielle Unterstützung für Kita-Plätze beantragen. Alleinerziehende profitieren von verlängerten, bezahlten Freistellungszeiten.

"Viele Kollegen haben Kinder", sagt Elisabeth Machel, Leiterin der Personalabteilung beim Softwareentwickler und -berater Implico. Das Unternehmen wurde mit dem Familiensiegel ausgezeichnet, weil es unter anderem Belegplätze für Kinder der Beschäftigten in einem Kindergarten unterhält. Zudem werden auch familiäre Verpflichtungen in der Arbeitsplanung berücksichtigt. Die Gebäudereinigung Bartels hingegen ermöglicht es Mitarbeitern, die Arbeitszeiten morgens, abends oder sogar nachts selbst auszuwählen - wenn der Auftraggeber dies erlaubt.

Variable Arbeitszeiten nach der Elternzeit, flexibel gehaltene Zeitmodelle je nach Bedarf und ein Lebensarbeitszeitmodell sollen - auch gewerblichen - Mitarbeitern bei ADM Silo Rothensee die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Doch nicht nur größere Unternehmen wie ADM mit mehr als 300 Beschäftigten haben erkannt, dass zufriedene Mitarbeiter auch für die Firma gut sind. Auch Thomas Becker, Inhaber vom Atelier für "Schmuck in seiner Vollendung", will ein guter Chef für seine vier Beschäftigten sein. Kinder der Mitarbeiter können mit an den Arbeitsort gebracht werden, auch ein Zuschuss für die Kinderbetreuung ist bei Bedarf möglich. "Beruf und Privatleben sollen gut miteinander vereinbar sein", sagt Thomas Becker. "Das ist ein Geben und Nehmen."

Inzwischen gibt es in Hamburg sogar schon Dienstleister, die Firmen in punkto Familienfreundlichkeit unterstützen. "Wir halten unter anderem Notfallplätze in Kitas vor", sagt Margit Werner, Chefin vom pme Familienservice. Ihr Unternehmen betreibt zudem Betriebskindergärten, so auch den für Airbus und die neue Einrichtung von Axel Springer mit 50 Plätzen, von denen 30 für Mitarbeiterkinder reserviert sind und 20 für Kinder aus anderen Firmen oder aus der Umgebung. "Das Interesse der Firmen an Kindertagesstätten steigt. Allerdings ist die Umsetzung oft zögerlich", sagt Margit Werner.

Eine solche Haltung dürfte man bei Beiersdorf kaum verstehen. Schon 1910 führte das Unternehmen "Stillstuben" ein, damit Mitarbeiterinnen selbst während der Arbeitszeit ihren Nachwuchs aufpäppeln konnten. Auch heute nehmen die Beschäftigten das Kita-Angebot des Nivea-Herstellers gerne an. In vollem Gange sind die Bauarbeiten bei der Stiftung Anscharhöhe. Ende des Jahres soll der neue Betriebskindergarten öffnen. Das Unternehmen, das unter anderem Senioren- und Pflegeheime betreibt, verfügt bereits über eine Tagespflegeeinrichtung für Mitarbeiterkinder. Und schon Anfang der 1970er-Jahre wurde der Kindergarten beim Chemiehändler Helm eröffnet. Bereits damals erkannte das Unternehmen, dass sich die Unterstützung von Eltern positiv auf den Erfolg der Firma auswirken kann. "Die Betreuungsmöglichkeit für Kinder spielt bei manchen Bewerbern, die sich für uns entschieden haben, eine Rolle", sagt Helm-Personalgeschäftsführer Dieter Schütt.

Mit der gesetzlichen Unfallversicherung VBG ist ein Hamburger Unternehmen jetzt vom Bundesfamilienministerium mit dem Zertifikat "berufundfamilie" ausgezeichnet worden. Der Versicherer bietet den Beschäftigten nicht nur den Zugriff auf Kindergartenplätze an, für Notfälle gibt es ein Eltern-Kind-Büro. Mitarbeiter können dann ihr Kind mit in die Firma bringen und an diesem Tag in einem Raum arbeiten, der Büro und Spielzimmer ist. "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von ihrem Betrieb unterstützt werden, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen, kehren früher aus der Elternzeit zurück, fallen seltener aus und arbeiten produktiver. Außerdem sind familienfreundliche Betriebe als Arbeitgeber attraktiver", sagte Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bei der Preisverleihung an den Versicherer - und beschrieb so die Vorteile für Unternehmen mit einer familienfreundlichen Personalpolitik.