Sie geben ihr Wissen und ihre Zeit weiter. Mentoren kümmern sich um Menschen, die genau das vermissen. Drei Beispiele aus Hamburg.

Hamburg. Wenn Reinhard Duda am Dienstagnachmittag über den leeren Hof des Kindertagesheimes hier an der Wandsbeker Straße in Wandsbek rennt und dem zehnjährigen Darius den Ball zuspielt, hat es den Anschein, als hätten Großvater und Enkel eine richtig tolle Zeit miteinander. So ist es aber nicht.

Spaß haben die beiden schon. Aber Reinhard Duda ist kein Großvater, die beiden sind nicht miteinander verwandt. Der 57-Jährige ist ein Mentor, Darius sein Mentee. Das hört sich seltsam an. Solche Begriffe sind bekannt aus der Wirtschaft. Dort gibt es Mentoring-Projekte schon lange. An amerikanischen Universitäten nehmen ältere Studenten ihre jüngeren Kommilitonen unter ihre Fittiche.

Doch auch Kinder und Jugendliche können von den Erfahrungen der Älteren profitieren. Diese Mentoren nennen sich dann Mutmacher. Sie sollen ein Vorbild sein, den Jüngeren ein bisschen Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Ziel ist es auch hier genau wie in der Wirtschaft, den Mentee bei seiner persönlichen oder beruflichen Entwicklung zu unterstützen. Das Abendblatt stellt drei Mentoring-Projekte vor.

Wenn Darius anfängt und sagt: "Du, Reinhard, darf ich dich mal was fragen?", dann weiß Reinhard Duda, jetzt wird es interessant. Dann will Darius zum Beispiel wissen, wie teuer das Auto von Herrn Duda war. Schließlich fährt Reinhard Duda ein viel größeres Auto als Darius' Mutter. Oder sie sprechen über Freundschaft. "Dari ist ein sehr aktiver junger Mann. Bewegung ist für ihn sehr wichtig. Er ist immer schneller als ich", erzählt Reinhard Duda.

Jeden Dienstagnachmittag verbringt er Zeit mit Darius. Während seine Ehefrau Ute einen Tag in der Woche mit der achtjährigen Lara aus Steilshoop ein sogenanntes Tandem bildet, kümmert sich ihr Mann um Darius. "Das Leben hat es extrem gut mit uns gemeint, deswegen wollen wir etwas zurückgeben", sagt Reinhard Duda. Er war Geschäftsführer bei British American Tobacco, seine Frau Ute in demselben Unternehmen im Eventmanagement. Jetzt, im vorgezogenen Vorruhestand, widmen sich die beiden Rentner aus Poppenbüttel Kindern aus anderen sozialen Schichten, Kindern aus schwierigen Verhältnissen. Jungen bekommen einen Mentor, Mädchen eine Mentorin.

Wenn Reinhard Duda von dem Jungen redet, der gerade mit seinem Ball beschäftigt ist, klingt das sehr liebevoll und stolz. Darius Mutter ist alleinerziehend. Viele Kinder, die an dem Mentorenprogramm "Big Brothers Big Sisters", das heißt übersetzt: Große Brüder, große Schwestern, teilnehmen, wachsen bei einem alleinerziehenden Elternteil auf, andere haben einen Migrationshintergrund, einige befinden sich gerade in einer schwierigen Lebenssituation. Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren werden gefördert. Die Mentoren sind Berufstätige ebenso wie Studierende und Senioren.

Reinhard Duda ist zwar kein Vaterersatz, aber doch nimmt er im Leben des Zehnjährigen zumindest für einen Tag die Rolle des männlichen Vorbildes ein. "Ich erzähle ihm von Problemen, die ich habe", sagt der Viertklässler. "Vor Kurzem habe ich einen Mathetest verhauen und Reinhard davon erzählt." Eigene Kinder haben die Dudas nicht. Seit sieben Monaten sind Herr Duda und Darius ein Team. Sie gehen zusammen ins Planetarium, ins Tropenaquarium, waren auch schon einmal im Kino. Meistens sind sie draußen, spielen Fußball, Tennis, Basketball. Dann sprechen sie zum Beispiel über die Schule. "Ich versuche ihn zu motivieren, weiterhin gut in der Schule zu bleiben. Ich unterstütze ihn und mache ihm klar, dass es sich lohnt, gut in der Schule zu sein", sagt Herr Duda. Das hat aber nichts mit Nachhilfe zu tun.

"Im Fokus steht das informelle Lernen", erklärt Tina Klapproth von "Big Brothers Big Sisters". Im Planetarium erfährt Darius also ganz nebenbei, wie die Welt entstanden ist. "Es geht um eine sinnvolle Freizeitgestaltung", so Frau Klapproth. An mindestens einem Nachmittag in der Woche erfahren Darius und die 16 anderen Mentees die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Erwachsenen. Es geht um Kommunikation, nicht um Konsum. Die Mentoren hören zu, machen Mut. Und auch die Erwachsenen profitieren von ihrem ehrenamtlichen Einsatz: "Die Welt aus Kinderaugen zu sehen ist so toll", sagt Reinhard Duda.

Andreas Henkel ist Rechtsanwalt in einer Kanzlei in der Deichstraße. Sein Fachgebiet ist das Insolvenzrecht. Klingt nicht sehr spannend. Und doch bemüht sich der 39-Jährige aus Eppendorf, Jugendliche, die aus Nichtakademikerfamilien kommen, für seinen Beruf zu begeistern. "Wenn es Anfragen zum Thema Jura gibt, hebe ich sofort die Hand", sagt er. Die Mentoren von "Arbeiterkind.de" motivieren gemeinsam mit Kooperationspartnern angehende Abiturienten aus Nichtakademikerfamilien zum Studieren. Zurzeit arbeitet "Arbeiterkind.de" mit der Otto-Hahn-Gesamtschule in Jenfeld zusammen. Mentoren wie Andreas Henkel geben Hilfestellung beim Studieneinstieg, die Schüler erhalten in Vorträgen und Workshops Informationen über Arbeitsmarktchancen und Möglichkeiten der Studienfinanzierung.

Andreas Henkel ist seit einem Jahr ehrenamtlicher Mentor und hat seinem 18-jährigen Mentee seinen Arbeitsalltag gezeigt und ihn mit in die Kanzlei genommen. Seine Motivation? "Ich möchte benachteiligten Jugendlichen helfen. Diese müssen 100 Meter früher loslaufen und haben dann auch noch Gegenwind." Außerdem sei er generell hilfsbereit.

Sein Mentee, der nicht an die Öffentlichkeit möchte, hat keinen akademischen Hintergrund und bekommt von zu Hause nichts mit, sagt Henkel. "Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man aus einem Haushalt kommt, der wirtschaftlich gut gestellt ist, oder aus einer Familie ohne Geld." Von seinem Mentee hat er den Eindruck, dass ihn der Besuch der Kanzlei nicht abgeschreckt hat. "Der war ganz angetan und die Anforderungen haben ihn auch nicht abgeschreckt." Sollte sich sein Schützling tatsächlich für ein Jura-Studium entscheiden, wird Andras Henkel am Ball bleiben und ihm jederzeit zur Seite stehen. "Es wäre toll, einen jungen Menschen durch das Studium begleiten zu können."

Nalan ist auf jeden Fall am unkompliziertesten von den drei Mentees, die Zeynep Öztürk aus Mümmelmannsberg betreut. Die 21-Jährige trifft sich regelmäßig mit drei Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen, aus Familien, in denen die Eltern sich häufig nicht viel um ihre Kinder kümmern. Bei Nalan ist das anders. Die 14-Jährige aus Horn hat Eltern, die sich für das Leben ihrer Tochter interessieren. Nalan hat ein eigenes Zimmer und sie hat einen Schreibtisch, an dem sie in Ruhe ihre Schulaufgaben erledigen kann.

Das ist keineswegs selbstverständlich, sagt Zeynep Öztürk. Sie sagt auch, dass es in den meisten Fällen die Schuld der Eltern sei, wenn ihre Kinder Probleme machen: "Eltern und Kinder kommunizieren nicht miteinander. Die Kinder wollen lernen, aber denen fehlt eine Autoritätsperson." Drei Mentees sind schon sehr viel, für mehr hat die Türkin keine Zeit. Früher hat sie bei H&M gejobbt, es war immer das Gleiche, und am Ende des Tages hat sie den Sinn ihrer Arbeit gar nicht gesehen. Davon hatte sie genug. Ihr Geld verdient sie sich jetzt mit ihrer Arbeit bei Verikom. Zwölf Euro die Stunde bekommt die Türkin für ihren Einsatz. Ihren Einsatz für ihre Mitmenschen, nicht für Klamotten.

Sechs Euro zahlen die Eltern der Mentees, die anderen sechs Euro übernimmt Verikom. Verikom ist Mentoring mit Migrationshintergrund, heißt es auf der Homepage. Das Projekt "Junge Vorbilder" richtet sich an Schüler mit Migrationshintergrund der 9. bis 11. Klassen und speziell an Schüler, die nicht nur einen guten Haupt- und Realschulabschluss anstreben, sondern auf eine weiterführende Schule wechseln wollen. "Wir arbeiten mit sozial schwachen Kindern, die Potenzial haben, denen aber die Unterstützung fehlt", erklärt Zeynep Öztürk. Sie studiert Sozialökonomie und soll Nalan, sie hat türkische Eltern, und den anderen zeigen: Auch mit Migrationshintergrund kann man etwas aus seinem Leben machen. Das besondere Problem bei Migranten: "In der Schule sollen die Kinder diskutieren, zu Hause heißt es dann: Diskutier nicht mit mir. Die Kinder stecken zwischen zwei Türen und wissen gar nicht, durch welche sie gehen müssen", sagt die Mentorin mit dem Kopftuch.

Noch geht ihr Schützling in die achte Klasse einer Haupt- und Realschule in Horn. Weil Nalan Schwierigkeiten in Deutsch und Englisch hat, sitzt sie mit ihrer Mentorin seit acht Monaten einmal die Woche zusammen. Dann gehen sie den Wochenplan der Schule durch, entweder bei Nalan zu Hause oder hier bei den Wirtschaftswissenschaften an der Hamburger Uni. Hier nimmt sie Nalan mit in die Mensa oder auch wie heute in die Vorlesung "Soziologie der Arbeitswelt." Es geht aber nicht nur um Nachhilfe. "Wir reden, wir essen und lackieren uns dabei auch mal die Fingernägel", sagt Nalan und lacht. Die beiden sind wie Schwestern. "Sie ist die kleine Schwester, die ich nie hatte", sagt Zeynep Öztürk.