EADS-Chef Louis Gallois spricht im Abendblatt über Lieferverzögerungen, den US-Tankerauftrag und die Chancen für das Werk Finkenwerder.

Berlin. Der Chef des Airbus-Mutterkonzerns EADS hat die europäischen Staaten vor Sparmaßnahmen gewarnt, die die Luft- und Raumfahrtindustrie schwächen könnten. "Wir müssen zuerst die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten schützen, denn es geht um die Zukunft", sagte Louis Gallois auf der Branchenmesse ILA in Berlin. Die Budgetsituation sei neben technologischen Risiken eine der Herausforderungen für den geplanten Langstreckenjet A350 - für dessen Entwicklung Airbus auch auf öffentliche Kredite setzt. Das Abendblatt sprach mit dem EADS-Chef über die Perspektiven des Konzerns.

Hamburger Abendblatt:

Emirates hat gerade 32 weitere A380-Jets bestellt , und die Produktion des Flugzeugs fasst allmählich Tritt. Aber wann wird das Programm in die Gewinnzone kommen, wenn man die immensen Entwicklungskosten berücksichtigt?

Louis Gallois:

Zunächst einmal sind wir sehr stolz auf diesen Auftrag. Der Erfolg beruht auf der großartigen Arbeit, die das Airbus-Team hier geleistet hat: Emirates hat bereits A380 erhalten, und die neue Bestellung zeigt, dass die Fluggesellschaft sehr zufrieden mit ihren Maschinen ist. Wir sagen zwar nicht, wann das gesamte Programm die Gewinnzone erreicht. Voraussichtlich bis zum Jahr 2015 wird aber zumindest die Produktion des Flugzeugs in die schwarzen Zahlen kommen. Und jeder Verbesserungsschritt im A380-Programm wirkt sich natürlich auch positiv auf unseren Gewinn aus.

Eine Reihe von neuen Wettbewerbern, unter anderem aus Brasilien, Kanada und China, drängt auf den Markt, den sich bisher Airbus und Boeing mit ihren Verkaufsschlagern, der A320-Familie und der 737-Reihe, teilten. Was bedeutet das für Airbus?

Wir beobachten den Wettbewerb sehr genau. Aus diesem Grund prüft Airbus zunächst, die A320-Familie mit neuen, sparsameren Triebwerken auszurüsten. Einiges spricht dafür, das zu tun. Denn die Technologien für ein völlig neu entwickeltes Flugzeug dieser Klasse sind derzeit noch nicht weit genug. Dies könnte vor allem die sogenannte Open-Rotor-Technologie sein, also Triebwerke mit offen liegenden Schaufelblättern. Damit könnten wir den Treibstoffverbrauch um 25 Prozent senken. Außerdem haben wir für das aktuelle Modell noch einen sehr hohen Auftragsbestand und wir müssen darauf achten, dass der Wert dieser Flugzeuge nicht zu stark durch einen Nachfolger gefährdet wird.

Das Kurz- und Mittelstreckenflugzeug der komplett neuen Generation soll in Europa nicht mehr auch in Toulouse, sondern nur in Hamburg endmontiert werden. Bringt dies in Zukunft mehr Arbeit für Hamburg?

Derzeit werden in Hamburg durchschnittlich bereits rund 17 Flugzeuge der A320-Familie im Monat endmontiert, und Ende des Jahres werden wir die Produktionsrate erhöhen. Das Nachfolgemodell würde ausschließlich in Hamburg endmontiert werden. Wenn der Nachfolger genauso erfolgreich ist wie das heutige Flugzeug, würde die Zahl deutlich zunehmen. Neue Langstreckenflugzeuge, wie vor allem der A350, werden künftig ausschließlich in Toulouse endmontiert.

Praktisch jedes wichtige Programm von EADS - der A380, der Militärtransporter A400M, der Militärhubschrauber Tiger - ist um Jahre verspätet, die Kostenplanung wurde weit überschritten. Den Konkurrenten in den USA geht es nicht viel besser. Warum sind solche Probleme offenbar unausweichlich?

Mit solchen Programmen bewegen wir uns nicht nur an der Spitze der heute verfügbaren Technologie, wir gehen sogar darüber hinaus. So können wir häufig erst nach Vertragsabschluss die Technologien entwickeln, die wir zum Bau eines neuen Produkts benötigen. Das bedeutet natürlich auch Risiken. Es ist zum Beispiel nicht einfach, ein Flugzeug aus Verbundwerkstoffen zu entwickeln. Boeing hat das erfahren müssen und das 787-Programm daher vier- oder fünfmal verschoben. Aber der Hinweis auf unsere Konkurrenten soll keine Entschuldigung sein. Wir stehen zu unserer Verantwortung und arbeiten hart daran, unsere Produkte termin- und kostengerecht zu liefern.

Wäre es nicht klüger, zeitlich etwas großzügiger zu planen?

Das wäre in der Tat besser. Aber wir haben Kunden, die Flugzeuge brauchen. Beim A400M beispielsweise haben sie uns gesagt, wir brauchen das Flugzeug 2009. Geht man auf solche Anforderungen nicht ein, kaufen die Kunden eine andere Maschine. Industrie und Kunden müssen aus solchen Erfahrungen gemeinsame Lehren ziehen: Wir brauchen bei künftigen Programmen mehr gegenseitige Offenheit, Transparenz und Realismus.

EADS ist kürzlich wieder in das Rennen um den Megaauftrag über neue Tankflugzeuge für die US-Luftwaffe eingestiegen. Ist die Ausschreibung nicht klar auf das kleinere, billigere Boeing-Flugzeug zugeschnitten?

Das Flugzeug von Boeing ist kleiner und weniger leistungsfähig als unseres. Wir werden sehen, welches am Ende günstiger ist. Wir haben gute Chancen zu gewinnen. Unser Tanker fliegt schon, der von Boeing muss erst noch entwickelt werden. Darum muss unser Konkurrent einen erheblich höheren Risikoaufschlag in den Angebotspreis einrechnen als wir.

Sind Sie besorgt über die protektionistischen Äußerungen in den USA im Umfeld der Tankerausschreibung?

Das US-Verteidigungsministerium verhält sich sehr fair. Aber von anderer Seite hören wir fast jeden Tag neue, unbegründete Attacken: Das zeigt nur die Nervosität von Boeing: Sie sind keineswegs sicher zu gewinnen.

In welchen Geschäftsfeldern und Regionen will EADS zukaufen, um die Abhängigkeit von der sehr schwankungsanfälligen Ziviljetsparte zu verringern?

Wir wollen vor allem im Verteidigungsbereich sowie in der Sicherheitstechnik und im Dienstleistungsgeschäft stärker werden. Eine besondere Priorität haben dabei die USA. Wir zielen aber nicht auf große Zukäufe ab, eher mittelgroße. Die jüngste Krise hat gezeigt, dass wir ein finanzielles Polster gut gebrauchen können - um unsere Programme voranzutreiben und den Konzern zu schützen.

Ist EADS bald kein europäischer Konzern mehr?

Unsere Strategie zielt darauf ab, dass ein Teil unseres Wachstums außerhalb Europas stattfindet. Unsere Wurzeln bleiben aber europäisch. Ich bin ein großer Befürworter einer starken europäischen Industrie. Deutschland hat gezeigt, dass es möglich ist, in Europa industriell erfolgreich zu sein. Daher bin ich auch für eine konsequente Industriepolitik. Aber leider erkenne ich derzeit nicht den politischen europäischen Willen, die Kräfte für Europas Industrie zu mobilisieren.