Eine Glosse von Philip Volkmann-Schluck

Das Leben besteht aus Licht und Schatten. Menschen begreifen das spätestens, wenn sie in einer Wohnung Tomaten anbauen wollen. Zu beobachten ist dann, wie Pflanzenbrut am warmen Küchenfenster die schwellenden Stämme in die Höhe reckt, parallel dazu jedoch auf dem feucht-kühlen Balkon eine Wohngemeinschaft der Sorgenkinder entsteht. Dort dümpeln die Pflänzchen dahin. Auch Nachtschattengewächse brauchen Energie.

Wie Hobbygärtner mit diesem Problem umgehen, darf man aber getrost als politischen Neigungstest verstehen. FDP-Wähler haben es leicht: Die Tomaten sind selber schuld. Wahlweise sind sie "Sonnen-Kommunisten" oder "UV-Nazis", und solche extremistischen Positionen haben im Liberalismus keinen Platz. Leistung muss sich außerdem wieder lohnen. Deshalb stehen die kräftigeren Pflanzen völlig zu Recht in der Sonne.

Schwerer haben es Wähler der Grünen. Sie würden zunächst gute Absichten beteuern: Natürlich muss sich jede Tomate frei entfalten dürfen! Allerdings: Die zu kleine Wohnung, der andersdenkende (Koalitions)-Mitbewohner, all das schränke den Spielraum leider akut ein. Während die Zöglinge also darben, heißt es: "Nächstes Jahr machen wir das besser, versprochen."

Sozialdemokraten setzen mittlerweile auf Fördern und Fordern. Faule Tomate sein, das reicht nicht mehr. Man müsste die Pflanzentöpfe also häufiger umverteilen, damit auch Nachzügler mal Licht sehen. Das Problem: Dicke Früchte frisst die Spitzensteuer.

Die CDU macht das ähnlich, mit zwei Unterschieden. Es muss noch Eliten geben in diesem Land, deshalb dürfen saftige Tomaten in himmlischer Ruhe reifen, während für die Förderung der Nachzügler ein Gebührenmodell installiert werden muss: Sind welke Pflanzen auf einen grünen Zweig gekommen, müssen sie ihrem Gönner auch was zurückgeben.

Die Linke hat die klarste Position. Alle Tomaten haben gleichen Anspruch auf einen Platz an der Sonne. Das bedeutet: Platz für Tomaten schaffen. Zur Not den Küchentisch vom Fenster wegschieben und selbst im Schatten frühstücken. Nachteil: Gärtner müssen aufpassen, dass sie dabei nicht selber welk werden.