1978 hätte Verteidiger Manfred Kaltz das 2:3 gegen Österreich verhindern können - doch es kam zur Niederlage in Córdoba.

Hamburg. "Darüber wollen Sie mit mir reden? Über Córdoba?" Manfred Kaltz ist geradezu begeistert, als er beim Treffen das Poster mit seinem Konterfei zum ersten Mal sieht. "Und dann noch mit dem Krankl zusammen auf einem Foto! Ach du liebe Güte ..."

Das droht ja heiter zu werden. Der 57-Jährige gilt als Mensch, der sparsam mit seinen Gesprächseinheiten umgeht. Doch dann das: In Sekundenbruchteilen läuft der Spielfilm des 21. Juni 1978 ab - die 88. Minute im Estadio Olimpico Chateau Carreras. Hans Krankl erläuft eine lange Flanke von Robert Sara vor dem Deutschen Rolf Rüssmann, der vergeblich hinterher sprintet. Jetzt kann nur noch Kaltz den Stürmer stoppen. Er, der 25-Jährige, der erste Libero nach dem Ende der DFB-Karriere Franz Beckenbauers.

Doch der Angreifer schlägt einen Haken und schießt zum 2:3 ein. "Ich hätte den Krankl früher attackieren müssen. Außerhalb des Strafraums. Dann passiert nichts", erinnert sich Kaltz in seinen gewohnt kurzen, knapp gehaltenen Sätzen. So aber gewinnt Österreich erstmals seit 1931 wieder gegen den großen Nachbarn. Der amtierende Weltmeister Deutschland ist bei der WM 1978 in Argentinien in der zweiten Gruppenphase ausgeschieden - und Radio-Kommentator Edi Finger sagt seinen legendären Satz: "I werd narrisch."

Kaltz hat eine unfassbare Fußballerkarriere hinter sich, es gäbe mehr als Tausend Spiele, über die er lieber reden würde als über Österreich. Als der gebürtige Ludwigshafener 1971 sein erstes Bundesligaspiel für den HSV bestritt, war Willy Brandt gerade zwei Jahre Kanzler und trieb seine neue Ostpolitik voran. Bei Kaltz' letztem Auftritt für die Hamburger war die Berliner Mauer schon fast zwei Jahre gefallen. Seine 581 Ligaspiele für den HSV, die ihn wahrscheinlich zum besten Rechtsverteidiger des Jahrhunderts machten, sind wohl ein Rekord für die Ewigkeit. Während seiner 69 Länderspiele sprangen ein Vize-WM-Titel (1982), ein EM-Titel (1980) und ein zweiter EM-Platz (1976) heraus. Mit der Aussage "Kaltz Flanke, ich Kopf, Tor", beschrieb Horst Hrubesch das Geheimnis dieses Erfolgs.

Aber Österreich ist irgendwie Kaltz' Schicksal. 1975 feierte er beim 2:0 in Wien seine Länderspielpremiere. Sieben Jahre später durfte er während der Qualifikation für die WM 1982 zwei Siege bejubeln. Beim Turnier selbst ging das 1:0 gegen Österreich als peinlicher Nichtangriffspakt in die Geschichte ein, weil so beide Teams weiterkamen und Algerien ausschied. Legendär ist aber die Niederlage von Córdoba.

"Gegen die Ösis mit ihrer großen Schnauze durfte man nicht verlieren", sagt Kaltz. "Die sprechen heute noch davon. Weil sie davor und danach nichts gewonnen haben. Die müssen uns ewig dankbar sein. Aber ich muss eingestehen: Blind waren die nicht."

Die WM 1978 steht aber auch für "Ascochinga", ein 3400 Hektar großes Gelände 80 Kilometer vor Córdoba, das als Erholungsheim für Luftwaffenoffiziere diente - und als WM-Quartier der Deutschen. Ascochinga bedeutet auf indianisch "toter Hund", und tatsächlich waren Büsche und ein Golfplatz die landschaftlichen Höhepunkte. Aber Golf spielte damals noch niemand. An ein (!) Telefon kann sich Kaltz noch erinnern. Minutengenau wurde damals jedes Gespräch vom DFB abgerechnet und von den Spesen abgezogen. "Tischtennis gab es auch, ab und zu konntest du einen heben, die Langeweile war dein täglicher Begleiter", sagt Kaltz und erzählt, dass sich innerhalb der Mannschaft viele Grüppchen gebildet hätten: "Immer wieder gab es Stunk." Als die Nationalmannschaft die Einöde endlich verlassen konnte, war das Leid aber noch nicht vorbei: Kaum stieg sie in den Flieger, hörte sie vertraute Stimmen - die ebenfalls ausgeschiedenen Österreicher saßen in der gleichen Maschine.

"Häme und Schmäh bleiben immer, aber damit muss man leben, schließlich geht es nicht um Menschenleben. Ganz wichtig im Sport ist es, verlieren zu lernen", glaubt Kaltz. "Schauen Sie sich meinen Karriereverlauf mal genau an. Dann werden Sie sehen, dass ich auf fast genau so viele erste wie zweite Plätze komme. Es ging immer hin und her."

Hin und Her - das passt auch auf das umtriebige Leben des Manfred Kaltz nach dem Ende seiner aktiven Karriere. Zwar ist er im Besitz einer Fußballlehrerlizenz, doch seine Anstellung an der Seite von Felix Magath als Co-Trainer von Eintracht Frankfurt (2000/01) erwies sich bisher als einziger Ausflug in den Profibereich. Seine Erfahrungen gibt er seit 2002 mit seiner Fußballschule ( www.mannikaltz.de ) an den Nachwuchs weiter.

Zuvor war er lange Jahre als Vertriebsdirektor des italienischen Mineralwassers Coralba tätig und als Immobilienmakler, dazu kam seine Vermögensberatung und das Engagement in einem Rehabilitationszentrum. Heute liegt der Schwerpunkt seines Schaffens beim Vorantreiben der in Wittdorf beheimateten Sport- und Eventvermarktungsagentur Eiba, als Mitglied des Managements. Für Oberligaklub Hansa Lüneburg kümmert sich die Firma um die Vermarktung, mit dem kürzlich gegründeten Running Business Club soll ein Sponsorenpool zur Förderung regionaler Sportgroßevents wie des Marathons aufgebaut werden.

Und welche Rolle spielt im Leben von Mister HSV der HSV? Keine. "Es hat sich nie ergeben, ich war in der freien Wirtschaft, und immer wieder gab es im Verein Leute mit vielen Ideen und Plänen. Das ist im Grunde bis heute so geblieben. Von Konzepten und Strategien wird kaum was umgesetzt."

Bei dem Thema wird Kaltz zur Quasselstrippe, die sich ärgert. Er fingert ein Blatt Papier heraus, malt modellhafte Angriffe auf. "Beim HSV gehen von 20 Pässen zwölf zurück. Das ist doch kein Fußball!"

Einmal in Schwung, wird auch die Nationalmannschaft in die Mangel genommen: "Heute bist du Nationalspieler, auch wenn du im Verein auf der Bank sitzt, das ist wirklich einmalig. Früher hätte es das nicht gegeben." Immerhin, Dennis Aogo erhält ein für kaltzsche Verhältnisse großes Sonderlob: "Aus dem kannst du was machen."

Viel entspannter redet er aber über sein neuestes Projekt: seinen eigenen Wein. In der Pfalz besitzt er ein Weingut, das er mit seiner Schwester Waltraud betreibt. 2011 will er "zwei Weiße und zwei Rote" herausbringen.

"So lange es Spaß macht, wird gearbeitet, es gibt kein konkretes Ziel", hat sich der einstige Meister der Bananenflanke zum Lebensmotto gemacht. Mit Vineeta ist er in dritter Ehe verheiratet, seine achtjährige Tochter Emilia-Karlotta hält ihn in Schwung.

Aber jetzt noch mal Österreich. Was ist aus dem Krankl geworden, haben Sie den Widersacher von damals später noch mal gesehen? Kaltz kramt in seinem Archiv von rund 1100 Spielen. "Ich glaube, ich habe ihn später noch mal getroffen, als er für Salzburg spielte. Aber privat gesprochen? Nein, das haben wir nicht. Es gab keinen Grund."