Ein Kinoabend als Selbstversuch. Was ein Abendblatt-Redakteur bei der Premiere des neuen “Sex and the City“-Films empfand.

Hamburg. Als ich mich das letzte Mal so verlassen fühlte, war ich auf einem Elternabend. Es war ein Mittwochabend, im Fernsehen lief ein Länderspiel, ich saß im Klassenzimmer einer Grundschule in Willinghusen allein unter 26 Frauen und diskutierte leidenschaftlich über die Unruhe, die in einer Klasse entsteht, wenn Zweitklässler mit ihren abgebrochenen Buntstiften zum Spitzen an den Papierkorb laufen.

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8 Jahre später an einem kühlen Mittwochabend im Mai fühlte ich mich ähnlich. Auf dem Sportkanal lief die Wiederholung des Champion-League-Finales, doch ich stand im Foyer des Cinemaxx-Kinos allein unter etwa 2500 giggelnden, kichernden, aufgebrezelten Frauen bei der Premiere von "Sex and the City 2" und hielt vorsichtshalber meinen Mund.

Irgendwann stellte ich fest, dass mich keine der Frauen eines Blickes würdigte. Nicht einmal ansatzweise. Zunächst dachte ich, dass es vielleicht am Dresscode liegen konnte, den ich zugegebenermaßen nur untererfüllte. Aber die Antwort war viel einfacher: Ich war bloß im falschen Film und außerdem waren "die Mädels am Ladies Day" offensichtlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt; mit ihren überwiegend schrillen Partykostümen, den zum Teil revolutionär designten French-Nails und Extensions sowie den lippenstiftverschmierten Proseccogläschen. Vor allem aber war ihre Vorfreude auf die neuen schwülstigen Abenteuer der vier Vertreterinnen ihrer Zunft zu spüren, der Ikonen des real existierenden modernen Frauenbildes.

Der Film ist schnell erzählt: Carrie (Sarah Jessica Parker), Samantha (Kim Catrall), Miranda (Cynthia Nixon) und Charlotte (Kirstin Davis) haben ebenso existenzielle wie auch lösbare Probleme mit der Ehe im Allgemeinen (Carrie), einem hormonbedingten, chronischen Untervögelungstrauma (Samantha), der Ich-will-eine-gute-Mutter-sein-und-doch-nicht-auf-meine-Karriere-verzichten-Rolle (Miranda) sowie dem Ich-bin-eine-völlig-überforderte-Mutter-und-eifersüchtig-auf-die-Brüste-unseres-jungen-Kindermädchens-Schicksal (Charlotte).

Ich saß in der zweiten Reihe im abgedunkelten Saal und wunderte mich, dass jeweils zwei Plätze neben mir frei geblieben waren, obwohl die Vorstellung angeblich ausverkauft gewesen sein soll (damals beim Elternabend in der Grundschule in Willinghusen hatte ich ebenfalls einsam, jedoch in der letzten Reihe gesessen).

Um es vorwegzunehmen: Soweit ich den Film als Mann verstehen konnte, lösten sich all diese Probleme der vier Freundinnen binnen knapp zweieinhalb Stunden in Wohlgefallen auf. Außerdem lernte ich, dass sich 15 Zentimeter hohe Manolo-Blahnik-Absätze vorzüglich dazu eignen, dröge Kamele mit einem scharfen Tritt in die Flanken durch den Wüstensand von Abu Dhabi zu hetzen. Ansonsten sagten Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte den ganzen Film über wohl genau das, was Frauen wohl so sagen, wenn sie über dies und das und Männer, Sex und Mode reden, und darüber hinaus schwelgten sie ein bisschen in verschwenderischem Luxus und wechselnden dauernd ihre Garderobe. Aber selbst diese latente Gefahr aufkeimenden Sozialneids konnte die heiter-beschwingte Grundstimmung des besitzlosen Publikums nicht schmälern. Im Gegenteil. So lernte ich, dass Frauen in Wahrheit offenbar doch gönnen können.

Einmal, etwa in Minute 67 des Films, konnte ich mir dann ein kurzes Lachen nicht verkneifen. Doch es hörte sich an wie ein Pistolenschuss, und weil es hinter mir verdächtig hüstelte, wurde mir sofort klar: Ich hatte an der falschen Stelle gelacht. Deshalb rutschte ich schon mal prophylaktisch ganz tief in meinen Sessel herunter. Im nächsten Moment juchzten jedoch 800 Frauen im Kollektiv. Dabei hatte niemand im Film ein Wort gesagt.

Aber die Frau hinter mir gluckste selig: "Samanthas Blick! Ist der nicht herrlich? So kriegt sie jeden!" Spätestens jetzt wusste ich, dass ich an meine Grenzen gestoßen war, und schaute mich, auf der Suche nach männlichem Beistand, vorsichtig um. Und tatsächlich: In Reihe fünf, sieben, neun, zehn und der Reihe 14, ganz links außen, zählte ich einigermaßen mühsam elf Geschlechtsgenossen. Mit mir zusammen bildeten wir sozusagen das Dreckige Dutzend.

Freilich ein Dutzend der Nachzügler: Als nämlich noch die Serie im Fernsehen lief, haben statistisch gesehen weitaus mehr Männer das psychosoziale Liebesleben der Kolumnistin Carrie Bradshaw und ihrer drei Freundinnen verfolgt. Und zwar laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Senders ProSieben größtenteils deshalb, um herauszufinden, was Frauen in Sachen Erotik wirklich bewegt. Die Filmfiguren dienen den männlichen Zuschauern zudem als Vorbild: 40 Prozent der Befragten gaben an, sie würden selbst gerne so ungezwungen mit dem Thema Sex umgehen wie die umtriebigen New Yorker.

Auch der trockene Humor der Sendung sowie die Kombination aus Sex und Comedy kommen bei den Männern gut an. Den weiblichen Fans der Serie ist das Thema Sex dagegen anscheinend wurscht, denn nur 20 Prozent gaben an, aus diesem Grund einzuschalten. Kurzum: Männer wollen mehr über die sexuellen Vorlieben der Frauen lernen. Die Frauen dagegen finden die Stadt und den Lifestyle toll. Ein Drittel aller befragten Männer erklärte, er könne auf jede der vier Frauen verzichten.

Später, kurz nach dem Abspann des Filmes, versuchte ich, mit den fremden "Jungens" ins Gespräch zu kommen. Keiner von ihnen war alleine da. Meine harmlose Frage lautete: "Warum sind Sie eigentlich hier?" Die Erklärungen lauteten folgendermaßen: "Ich wurde gezwungen" (fünfmal) "Eigentlich wollte ich 'Robin Hood' sehen" (vier Antworten), und ein ganz Netter antwortete: "Mein Freund und ich finden Carries Mode ganz, gaaanz toll." In diesem Moment fiel mir der Auftritt von Roman Witt ein, Geschäftsführer des Dessert-Restaurants Prinsessan, der mit einem Dutzend seiner weiblichen Gäste einer Stretch-Limousine mit dem Jubelschrei "Ich liebe 'Sex and the City'!" entstiegen war und gleich darauf bekannt hatte: "Ich bin eine Carrie!" Ohrenbetäubendes Kreischen und Klatschen - womit das Thema Männer und "Sex and the City" sich im Prinzip schon vor dem Film erledigt hatte.