Der Hamburger erlebte die WM 2006 als Spieler der Nationalelf Ghanas - und lernte dabei seine Heimat Deutschland neu kennen.

Vielleicht war es die Party nach dem Einzug ins WM-Achtelfinale, die ihm am eindrucksvollsten im Gedächtnis geblieben ist. Ghana hatte die USA 2:1 geschlagen, Otto Addo war in der zweiten Halbzeit eingewechselt worden und hatte mit einer soliden Leistung auf der rechten Seite seinen Teil zum Sieg beigetragen. Als das afrikanische Team am Abend ins Maritim Hotel in Würzburg zurückkehrte, "brachen dort alle Dämme". Musik und Tanz, Gesang und gemeinsames Essen. "Hunderte afrikanische Fans haben uns vor dem Mannschaftshotel erwartet", erzählt Otto Addo. "Sie hatten Trommeln und etwas zu Essen mitgebracht, viele Frauen kamen mit Reis und Früchten. Wir haben bis in die Nacht zusammen gefeiert."

Das deutsche Sommermärchen vor vier Jahren, es hatte auch sehr viel mit seinen fröhlichen Gästen aus aller Welt zu tun. Und es passt irgendwie ins Bild, dass Otto Addo sich an die Szenen zwischen den Spielen genauso gut erinnert wie an die starken Auftritte auf dem Rasen. Die "Black Stars" hatten sich bei ihrer WM-Premiere nach den Auftaktsiegen gegen Tschechien und die USA gleich für das Achtelfinale qualifiziert und konnten sich im letzten Gruppenspiel sogar eine Niederlage gegen Italien leisten.

Eine bunte Truppe - und obendrein die jüngste aller teilnehmenden Mannschaften - war da am Start. Superstars wie Michael Essien von Chelsea London neben Otto Addo, dem gebürtigen Hamburger, der damals bei Mainz 05 unter Vertrag stand. Christen und Moslems, die jeden Abend im Hotel zusammen einen Gottesdienst abhielten. Mit christlichen Gospels und einem arabischen Abschluss-Gebet. Die vor dem Spiel im Bus und auch noch auf dem Weg von der Umkleidekabine zum Rasen gemeinsam sangen und sich auf Englisch oder in einer der drei in Ghana gängigsten Sprachen - Twi, Gha oder Houssa - unterhielten.

"Wir hatten einen großen Zusammenhalt und sind mit viel Spaß, aber trotzdem sehr konzentriert in jedes Spiel gegangen", sagt Otto Addo. In der Defensive mit Kopf, in der Offensive mit Herz - so in etwa absolvierten die Mannen des serbischen Trainers Ratomir Dujkovic ihre begeisternden Auftritte. Die erst nach dem 0:3 im Achtelfinale gegen Weltmeister Brasilien beendet waren. Ein furioses Spiel war das in Dortmund, zwei Jahre später aber war plötzlich von Wettbetrug die Rede. Beweise gab es keine, Otto Addo war nicht mit von der Partie. "Ich habe mich zwar gewundert, dass unser Trainer trotz des Rückstands keine zusätzlichen Offensivspieler eingewechselt hat", sagt er heute. Aber dass angeblich acht seiner Mitspieler für jeweils 30 000 Dollar absichtlich verloren haben, das kann er sich beim besten Willen nicht vorstellen.

Es passte auch irgendwie gar nicht zu der Euphorie, die im Sommer 2006 nicht nur die Menschen in Ghana, sondern Millionen auf dem afrikanischen Kontinent erfasst hatte. Selbst nach dem WM-Aus empfingen 3000 Fans ihre Fußball-Helden auf dem Marktplatz in Würzburg. Beim Anblick der Menge waren die Spieler so überwältigt, dass einige Tränen in den Augen hatten. Der Frust über das abrupte Aus war schnell verflogen. Michael Essien schnappte sich eine Trommel, und die Party ging weiter.

"Es war ein großes Fest und ein tolles Erlebnis", sagt Otto Addo, der besonders von den Zuschauern begeistert war. "Italienische und ghanaische Fans lagen sich nach dem Spiel in den Armen, tschechische Anhänger haben uns nach dem Sieg über ihre Elf mit Beifall verabschiedet. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt. Die Atmosphäre im Land war einmalig."

Das war ein ganz anderes Deutschland, als es der heranwachsende Otto Addo in seiner Geburtsstadt Hamburg kennengelernt hatte. Die er zwar kurz nach seiner Geburt wieder verlassen musste, als sein Vater die Familie im Stich ließ und seine Mutter Esther ihre Weiterbildung zur medizinisch-technischen Assistentin nicht aufgeben wollte. Und deshalb Otto und seine Zwillingsschwester Odura zu Verwandten nach Ghana brachte. Und ihre Kinder dann zwei Jahre lang nur im Urlaub besuchen konnte, bevor sie beide im Alter von drei Jahren wieder nach Hamburg holte. "Wir haben natürlich geweint und nicht verstanden, warum eine fremde Frau mit uns wegfliegt", sagt Otto Addo.

Längst bewundert er seine Mutter, die mit viel Liebe und Kraft ihre Kinder alleine großgezogen hat. Beide schafften das Abitur, die Schwester arbeitet heute als Ärztin in Itzehoe. Die zur Stelle war, wenn die Geschwister wegen ihrer Hautfarbe in der Schule gehänselt wurden. Später als Jugendlicher in Hummelsbüttel wurde Addo auf dem Weg zum Training von Rechtsradikalen verfolgt, dunkelhäutige Freunde von ihm wurden verprügelt. Erfahrungen über Jahre, die er bis heute nicht einfach abstreifen kann. Die eine Zerrissenheit und stets das Wort "eigentlich" zur Folge haben, wenn es um die Frage geht, ob er sich als Deutscher fühlt. Eigentlich schon, aber was nützt das, wenn andere Deutsche in ihm immer sofort den Ausländer sehen. Der nicht ohne Weiteres in die Disco reinkommt, der öfter kontrolliert wird als andere. Und der bei einem Spiel in Cottbus bei jeder Ballberührung die Affengeräusche der Zuschauer ertragen musste. Und nach dem Schlusspfiff an einem kleinen Jungen vorbeilief, der ihm "Neger raus" hinterherrief.

13 Jahre und eine WM im eigenen Land später hat sich viel verändert. "Heute kann ich ohne Angst durch Chemnitz gehen", sagt Addo, der in seiner Karriere immer wieder schlimme Rückschläge verarbeiten musste. Sechs Jahre spielte er in Dortmund, wurde einmal Deutscher Meister und zog sich drei Kreuzbandrisse zu. Wechselte nach Mainz und wurde von Trainer Klopp wortlos aussortiert. Landete schließlich noch einmal beim HSV und ist dort, wo man sein Talent als 16-Jähriger nicht erkannt hat, jetzt Co-Trainer der A-Jugend. Soll die U 17 übernehmen, dann schließt sich sozusagen der Kreis.

Der 34-Jährige kann zwar nach seinen schweren Verletzungen nicht mehr jede Übung vormachen. Aber er kann den Jungen sagen, was man braucht, um ein guter Fußballer zu werden. "Eine gute Erziehung und Respekt. Vor den Mitspielern und den Gegnern." Er kann ihnen erzählen, wie man mit Druck umgeht. Und dass man alles trainieren kann. "Nur nicht Herz, Wille und Leidenschaft." Diese Eigenschaften aber sind Voraussetzungen, "um es nach ganz oben zu schaffen". Und um sich vielleicht irgendwann einmal den großen Traum zu erfüllen und bei einer Weltmeisterschaft mitzuspielen.

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