Die klassische Musik an Hamburger Bahnhöfen ist offenbar nicht in der Lage, Wegelagerer zu vertreiben. Da muss schon Härteres her.

Hamburg. Auch wenn Bahn fahren in Hamburg nicht ausnahmslos Spaß bringt, so ist doch zumindest das Ein- und Aussteigen purer Genuss: Leichtes Klavierspiel begleitet die Gäste im U-Bahnhof Gänsemarkt Richtung Valentinskamp. Eine kluge Marketingstrategie der Laeiszhalle ist der erste spontane Gedanke. Doch im Gespräch mit einer Hochbahn-Mitarbeiterin wird klar: Die Klassik-Schiene ist fahrplanmäßig. "An allen innerstädtischen U-Bahnhöfen kann die klassische Musik in den Abendstunden nach Bedarf vom Haltestellenpersonal eingeschaltet werden. So sollen sich Fahrgäste wohler und sicherer fühlen." Zumindest subjektiv. "Stellen Sie sich mal spätabends einen leeren Bahnhof vor, und es ist total still. Da wirkt klassische Musik doch gleich beruhigend."

Zweiter spontaner Gedanke: Gibt es dann auch bald eine CD mit "U-Bahn-Classics"?! Mitnichten. Klassik würde vor allem deshalb gewählt, weil keine Gema-Gebühren anfallen. Dass mit Opern-Arien Drogenabhängige und Obdachlose, vor allem am Hauptbahnhof, vertrieben werden sollen, ist laut Hochbahn und der Deutschen Bahn ebenfalls ein Irrtum, gar eine "Legende". Allerdings eine, die sich ziemlich hartnäckig hält. Diese "Klientel" habe sich rein zufällig zur gleichen Zeit mit Einführung des neuen Sicherheitskonzepts von den Plätzen zurückgezogen.

Die Wirkung dieser Musikbeschallung ist bis heute auch gar nicht bewiesen. Musikberater Heiko Maus erklärt: "Klassik hat ein Image von Größe, Erhabenheit und Wohlstand. Damit will man gewissen Leuten sagen: 'Wir wollen euch hier nicht.'" Das aber funktioniere nur bedingt. Schließlich seien auch Junkies durchaus der Klassik zugeneigt, wie eine Umfrage der Deutschen Welle an Hamburger Bahnhöfen zeigte. Klassische Melodien würde er sich sogar sehr gern "auf seinem Trip reinziehen", sagte einer, der es wissen muss. Viel effektiver wäre dagegen die "Vertreibung", wenn Volksmusik à la Musikantenstadl gespielt würde. In dem Fall nämlich würden selbst hartgesottene Wegelagerer bahnhofsflüchtig. Geheimwaffe Volksmusik!

Bei Reisenden kommt die Musik stressbedingt kaum an. Richtig genervt dagegen sollen Menschen sein, die ständig am Hauptbahnhof arbeiten, also etwa Blumen- und Zeitungsverkäufer. Das allerdings interessiert auch die Berliner Verkehrsbetriebe wenig. Nach Hamburger Vorbild beschallt nun auch die Hauptstadt ihre Bahnhöfe mit Sinfonien, damit es dort schön sicher wird. Rein subjektiv, versteht sich.

Natürlich darf bei so einem heiklen Thema auch die Opposition nicht fehlen. Die "Lautsprecher aus"-Initiative ist strikt und überall gegen eine Zwangsbeschallung von Fahrgästen, egal, ob mit Klassik oder Volksmusik.

Eins ist zumindest sicher: Das Haltestellenpersonal am U-Bahnhof Gänsemarkt ist mit Abstand am musikalischsten. Denn nicht nur zur von der Hochbahn vorgeschlagenen Abendzeit, auch am frühen Morgen werden hier Vivaldi und Mozart gespielt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich eine gewisse "Klientel" nicht allzu wohlfühlt, dass man auf die Geheimwaffe zurückgreifen muss ...