Er war Lebemann und Weltbürger in Personalunion. Er wurde zum “schönsten Mann des Bundestages“ gewählt. Mit seinem unabhängigen Denken stellte er sich nicht selten gegen die Linie seiner Partei.

Hamburg-Blankenese, ein sonniger Sommertag Anfang der 50er-Jahre. Der Geschäftsmann, Typ Gentleman und entsprechend vornehm gekleidet, lässt seine Aktentasche links liegen, schmeißt sich kurz entschlossen auf den Rasen abseits seines Wohnhauses und lobpreist das Leben - wie ein übermütiges Kind. Kurz darauf steht er wieder auf den Beinen: stabil, selbstbewusst, stolz. Passend zur Stadt, die er liebte und deren guten Ruf er nährte.

"In dieser spontanen, unreflektierten Geste kam so viel Lust an der Freiheit zum Ausdruck, dass ich dieses Bild auch nach 40 Jahren nicht vergessen habe", schrieb Marion Gräfin Dönhoff dem CDU-Politiker Erik Blumenfeld zu dessen 75. Geburtstag am 27. März 1990. "Es bedurfte offenbar dieser Szene, um mir deutlich zu machen, wie sehr du gelitten haben musst", formulierte die Publizistin weiter. "Denn von den Leiden in Auschwitz hast du in all den Jahren unseres Zusammenlebens auch mir nie etwas erzählt."

Zutage gefördert hat diesen Brief und weitere bisher unbekannte Schriftstücke der Wissenschaftler Frank Bajohr (48), habilitierter Historiker an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. "Hanseat und Grenzgänger" ist der Titel seiner politischen Biografie über den liberal-konservativen Grandseigneur "Sir Erik", die - übrigens auf Anregung von Helmut Schmidt - just im Wallstein-Verlag erschien und in gekürzter Version auch von Ellert & Richter herausgegeben wird. Blumenfeld, der einzige Auschwitz-Überlebende im Deutschen Bundestag, starb am 10. April 1997 im Alter von 82 Jahren in einer Seniorenresidenz in Travemünde.

Im Mittelpunkt der Werke steht der Prototyp des hanseatischen Kaufmanns, der sich als zweifacher Bürgermeisterkandidat, aber auch als Außenpolitiker und Weltmann einen Namen machte. Wohl auch deswegen ganz besonders, weil sein unabhängiges Denken ebenso wie seine freigeistigen Positionen oft genug im Widerspruch zur nicht selten kleinkarierten Praxis in seiner Partei standen. Es passt ins Bild des Individualisten Blumenfeld, dass er mit namhaften Zeitgenossen wie Zarah Leander, Edward Heath, Margaret Thatcher, Teddy Kollek, Chaim Herzog, Yitzhak Rabin oder den Kennedys befreundet war, dem Mief in den Hamburger CDU-Ortsverbänden indes aus dem Wege ging.

"Erik Blumenfeld hasste nichts mehr als Gemauschel in verräucherten Hinterzimmern", weiß Autor Bajohr. Das engmaschige Machtgeflecht des "Magdalenenkreises" seines Parteifreundes Jürgen Echternach sei ihm durch die Bank suspekt gewesen. Während er Helmut Kohl menschlich reserviert gegenüberstand, hegte er zu Adenauer und Strauß gute Beziehungen - unterschiedlichen Auffassungen über Stil und Politik zum Trotze.

Bajohrs Erkenntnisse basieren auf dreijährigen Recherchen. So sichtete er Blumenfelds Nachlass im Bundesarchiv in Koblenz mit Schriftstücken aus den Jahren zwischen 1964 und 1994, stöberte im Archiv für christlich-demokratische Politik in St. Augustin und sprach lange mit Blumenfelds Witwe Brigitte Lichtenauer-Blumenfeld, einer Hamburger Rechtsanwältin.

Vor allem entdeckte der Buchautor in Israel den Briefwechsel Blumenfelds mit seiner dänischen Mutter Ebba während seiner Haftzeit in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald zwischen 1942 und 1945. Als angeblicher Halbjude war der Kaufmann von der SS dorthin deportiert worden. Über die Schreckenszeit hatte Blumenfeld jahrelang mit niemandem außer direkten Leidensgenossen gesprochen - eben auch nicht mit der Gräfin Dönhoff, die sieben Jahre in seinem Blankeneser Haus zur Miete wohnte. Seine Zwangs-Sterilisation blieb gleichfalls unbekannt. Beide Themen waren für die Öffentlichkeit tabu.

Bis zum Abend des 29. März 1979, als der CDU-Angeordnete an das Rednerpult des Deutschen Bundestages trat. In einer vielen unvergessenen Ansprache begründete Erik Blumenfeld, warum er in Union mit 23 Fraktionskollegen gegen eine Verjährung von Mordtaten auch aus der Nazizeit eintrat. "Da ein Teil meiner Familie und meiner Freunde ausgerottet worden ist, weiß zumindest ich, wovon ich spreche", sagte er. Es war sehr still im Plenum, ebenso wie auf der Zuschauertribüne. Dort hatten Überlebende des Holocaust Platz genommen. Auch in der Folgezeit kämpfte Blumenfeld gegen einen Schlussstrich unter das Unvorstellbare - und für freundschaftliche Kontakte nach Osteuropa und Israel.

Zur Faszination eines der letzten Hanseaten - so sollte der Buchtitel ursprünglich heißen - zählen Lebenslust und Klugheit, mit der "Sir Erik" für sich einzunehmen wusste. Er war Lebemann und Weltbürger in Personalunion. Die Telefonistinnen in Bonn wählten ihn zum "schönsten Mann des Bundestages". Blumenfeld, der stets so aussah, als komme er just aus einem Londoner Herrenclub, ließ sich von einem Chauffeur durch Hamburg fahren, glänzte mit Handicap 13, als nur die Hautevolee Golf spielte, hatte bei den Damen Schlag als Kavalier und Charmeur erster Klasse. Von seinem Kontor im Chilehaus aus dirigierte er den Seehafen-Verlag sowie die väterlichen Betriebe, die vom Brennstoffhandel bis zur Kunststoffverarbeitung reichten. Und in seiner Wohnung an der Blumenstraße an der Außenalster pflegte er, was sonst, mit Vorliebe Tee zu schlürfen. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte "Sir Erik" der hanseatischen Swing-Jugend angehört und auf diese Art, quasi mit besonderer Note, sein Anderssein dokumentiert. Nicht selten übrigens mit Geistesverwandten wie Axel Caesar Springer.

Genau dieser Typus Hanseat hatte eine Diebesfreude daran, Freund wie Gegner immer wieder zu verblüffen. Auch durch Kontakte aus der Lagerzeit duzte er alte Kommunisten - ganz selbstverständlich. Was auch für den persönlichen Sekretär des damaligen DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck galt. Und auf parlamentarischen Bierabenden zeigte sich Blumenfeld - frei von ideologischen Barrieren - erstaunlich textsicher beim Schmettern der Internationale und anderer Arbeiterlieder. Im Duett mit den Sozis. Unkonventionelle Lebensweise, ein Dasein nach eigenem Gusto, waren nach seinem Geschmack.

Erik Blumenfeld, ein Grenzgänger mit Sinn fürs politische wie menschliche Brückenbauen, war so frei. Und sei es als tollender Erwachsener im Vordergarten in Blankenese.

"Hanseat und Grenzgänger", Wallstein-Verlag, 302 Seiten, 29,90 Euro. "Erik Blumenfeld", Ellert-&-Richter-Verlag, 128 Seiten, 14,90 Euro.