Autofahrer, die an alten und damit falschen Halteverbotsschildern parken, brauchen die Knöllchen nicht zu bezahlen.

Hamburg. Unruhe im Schilderwald: Weil Sachbearbeiter im Bundesverkehrsministerium in Berlin "aus Versehen" einen entscheidenden Passus in einer Neuauflage der Straßenverkehrsordnung (StVO) gestrichen haben, sind ab sofort mehrere Tausend Straßenschilder in Hamburg ungültig und damit wohl auch ebenso viele Knöllchen.

Betroffen sind alle Verkehrszeichen, die vor 1992 gestaltet und bis heute nicht durch neue Schilder ersetzt wurden. Darunter sind Zeichen, die die Höchstgeschwindigkeit, aber auch Park- und Halteverbot regeln.

1992 war eine Reihe von Verkehrszeichen "modernisiert" worden. Aus detailreich gezeichneten Autos wurden abstrakte Wagen. Zebrastreifengänger verloren ihren Hut.

Bislang war im neunten Absatz des Paragrafen 53 der StVO geregelt, dass diese alten Schilder ihre Gültigkeit bis 2019 behalten, es sei denn, sie werden vorher ausgetauscht. In der Neuauflage vom 1. September vergangenen Jahres fehlt jedoch Absatz neun. Damit wurden die - bereits seit 18 Jahren nicht mehr der StVO entsprechenden - Verkehrszeichen von einen auf den anderen Tag ungültig. Im Einsatz sind sie dennoch.

Zwei Schilder vor der Polizeiwache an der Caffamacherreihe machen das Dilemma deutlich: Hier herrscht ein absolutes Halteverbot. Doch während am schlanken Pfeil des einen Schildes nichts auszusetzen ist, darf sein Gegenstück mit den dreieckigen Pfeilspitzen eigentlich nicht mehr den Verkehr regeln. "Derzeit sind in Hamburg von insgesamt 220 000 aufgestellten Verkehrszeichen mehrere Tausend veraltet", sagt Carsten Willms, verkehrspolitischer Sprecher des ADAC Hansa. Mit weitreichenden Konsequenzen.

"Bei alten Verkehrszeichen begeht man nun keine Ordnungswidrigkeit mehr", sagt Peter Möller, Rechtsanwalt und Experte für Verkehrsrecht. "Natürlich ist man in der Haftung, wenn man ein altes Tempo-60-Schild mit 40 Kilometer pro Stunde mehr überfährt und einen Unfall baut", sagt Möller, aber ein Bußgeld und Punkte in Flensburg müsste man nicht mehr hinnehmen. Er rät: "Wer nun ein Knöllchen erhält, sollte prüfen, ob der Vorwurf auf einem Altschild basiert und, falls dem so ist, umgehend Einspruch einlegen."

Auch aus Kreisen der Innenbehörde erfuhr das Abendblatt: Seit September 2009 können Verstöße gegen die alten Schilder nicht mehr geahndet werden. Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart unterstreicht diese Einschätzung. Bereits 2001 entschied es in einem vergleichbaren Fall, dass Verkehrszeichen ihre Geltung als Verwaltungsakte zwar beibehalten, aber bei einem Verstoß kein Bußgeld verhängt werden kann (Az.: 5 Ss 348/348). Aus Hamburg sind keine ähnlichen Urteile bekannt.

"Der Gesetzgeber wird im Rekordtempo nachbessern", ist sich Möller sicher. Und die Bundesländer machen bereits Druck auf Berlin - allen voran Hamburg. "Es handelt sich um ein deutschlandweites Problem, das auf eine Gesetzespanne im Bund zurückzuführen ist", sagt Thomas Butter, Sprecher der zuständigen Innenbehörde. Die Hansestadt habe sofort reagiert und das Bundesverkehrsministerium - mit Unterstützung anderer Länder - aufgefordert, den Fehler kurzfristig zu korrigieren.

Vorwürfe, die Stadt habe versäumt, alte Schilder durch neue zu ersetzen, weist Butter ab: "Bislang hat es keine Frist gegeben, die alten Schilder durch neue zu ersetzen, und damit ist es kein Versäumnis unsererseits." Das sieht der ADAC anders: "Nun hatte man schon seit 18 Jahren Zeit, die Verkehrszeichen zu ersetzen. Dass dies noch nicht geschehen ist, ist ein Ärgernis, aber keine Gefahr für die Verkehrssicherheit", sagt Willms.

Wie viele Autofahrer jetzt Bußgelder zurückfordern könnten, dafür vielleicht sogar vor Gericht ziehen werden, wie viel Geld der Stadt durch die straffreien Vorschriften entgehen werden, weiß niemand.

ADAC und Behörde jedenfalls appellieren an die Vernunft der Autofahrer: "Überall dort, wo Verkehrszeichen ihre Gültigkeit verloren haben, gilt natürlich auch heute das Gebot der Rücksichtnahme und die Pflicht aller Verkehrsteilnehmer, andere nicht zu gefährden", sagt Butter. Die Sinnhaftigkeit eines Verkehrsschildes sei ja nicht plötzlich verschwunden, weil die Gestaltung des Zeichens an sich nicht mehr aktuell sei, heißt es ergänzend vom ADAC.