Er galt als Kronprinz von Bürgermeister von Beust. Drei Probleme haben ihn zermürbt. Die Gründe für das Karriere-Aus von Michael Freytag.

Hamburg. "Das war seine beste Rede, leider war es erst die letzte", sagte ein alter CDU-Kämpe, kaum dass Michael Freytag seine Rücktritts-Rede im Ballsaal des Hotels InterConti beendet hatte. So klar, so authentisch wie in dem Augenblick seines politischen Abschieds hat Freytag eben selten gewirkt. Da sprach nicht der etwas dröge Partei-Apparatschik, sondern der politische Mensch Michael Freytag.

Eine bemerkenswerte politische Karriere geht auf eigenen Wunsch zu Ende: Freytag hat sich mit einer beinahe brutalen Zäsur aus dem politischen Leben der Stadt verabschiedet - einem Leben, dem er sich seit zwei Jahrzehnten verschrieben hatte, seit beinahe zehn Jahren auch hauptberuflich. Im Jahr 2001 hatte der Banker und Jurist den Vorsitz der CDU-Bürgerschaftsfraktion übernommen und damit Politik zu seinem Beruf gemacht. Freytag entwickelte sich schnell zum Ruhepol an Verlässlichkeit in der von schrillen Tönen erhitzten Zeit des Dreier-Bündnisses von CDU, FDP und Schill-Partei.

Es war klar, dass Freytag über kurz oder lang in den Senat wechseln würde. Dieser Augenblick war gekommen, nachdem die Union dank Bürgermeister Ole von Beust 2004 die absolute Mehrheit der Sitze in der Bürgerschaft errungen hatte. Drei Jahre lang war Freytag Senator der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, ehe er dann 2007 in das Ressort wechselte, auf das seine Karriere gewissermaßen automatisch wegen seines beruflichen Hintergrunds hinsteuerte: Freytag wurde nach dem Rücktritt von Wolfgang Peiner (CDU) neuer Finanzsenator.

Für Freytag war 2007 das Jahr des Katapult-Aufstiegs: Er übernahm auch noch den CDU-Landesvorsitz von Dirk Fischer, der sich seitdem auf sein Bundestagsmandat konzentriert. Nach von Beust, dessen Ansehen und Autorität in der Union unumstritten war und ist, war Freytag der zweitmächtigste Mann in der Union und im Senat. Eigentlich war alles für die letzte Karrierestufe vorbereitet: Freytag galt als Hoffnungsträger der CDU und als der einzig denkbare Nachfolger von Beusts, wenn der irgendwann einmal seinen Rückzug vom Spitzenamt erklären sollte. Es gehört zur Tragik von Michael Freytag, dass alles ganz anders kam.

Mit seiner gestrigen Rücktrittsentscheidung ist endgültig klar: Der Politiker Freytag ist ein Opfer der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Drei Mega-Probleme haben dem Finanzsenator in den vergangenen 20 Monaten das Leben bleischwer gemacht und ihn letztlich wohl auch zermürbt: die Krise um die Traditionsreederei Hapag-Lloyd, das Desaster um die HSH Nordbank und die dramatische Hamburger Haushaltskrise mit dem Rekorddefizit von sechs Milliarden Euro bis 2013.

Wie tief diese Einschnitte für ihn persönlich waren, hat Freytag gestern in seiner Rücktrittsrede deutlich gesagt. Von Herbst 2008 bis Herbst 2009 habe er ein "Leben im permanenten Ausnahmezustand" geführt.

Freytag hat keine der großen Krisen im engeren Sinne selbst zu verantworten, aber er war sehr schnell der Buhmann. Er hat beharrlich nach innen und mit seiner großen Sachkenntnis die Krisen zu managen versucht. Er hat auch Erfolge vorzuweisen: Hapag-Lloyd ist als Hamburger Unternehmen gerettet, und bei der HSH Nordbank besteht jedenfalls nach wie vor berechtigte Hoffnung auf eine solche Rettung.

Aber es muss auch gesagt werden, dass es Freytag nie gelang, öffentlich das Bild des erfolgreichen Krisenmanagers zu vermitteln. Im Gegenteil: Mit seiner lakonischen Art und seinem Hang zu missverständlichen Sprüchen wurde er zunehmend zum Problemfall der schwarz-grünen Koalition. Lange wurde ihm angekreidet, dass er im Krisenherbst 2008 die HSH Nordbank als "im Kern gesund" bezeichnet hatte. Und mit seiner Replik auf Kritik an seinem Krisenmanagement sorgte er wenig später für unfreiwillige Lacher: "Es macht keinen Sinn, den Feuerwehrmann beim Löschen zu erschießen."

Es hat Freytag schwer getroffen, dass immer mehr Parteifreunde ihn nicht mehr für den Kronprinzen von Beusts hielten. Viele Christdemokraten kritisierten auch, dass der Parteivorsitzende Freytag praktisch nicht mehr vorkam - etwa beim Streit um die Schulreform. Und er weiß selbstverständlich, dass die miserablen Umfragewerte der erfolgsverwöhnten Union mit zuletzt 31 Prozent gerade auch ihm angelastet würden. Freytag war nicht länger ein Hoffnungsträger der CDU - dieser Umstand hat seine Entscheidung, der Politik den Rücken zu kehren, fraglos befördert.

Niemand bestreitet fachliche Kompetenz und politische Klugheit von Michael Freytag. Aber er ist mit seiner zurückhaltenden, ja bedächtigen Art kein Mann, der die Massen durch sein Wort für sich einnehmen kann. Heute gehört aber beides in der Politik zusammen: Fachkompetenz und Marketing in eigener Sache. Im Zweifel kann ein Politiker eher auf das erste als auf das zweite Merkmal verzichten. Ein beruhigender Befund ist das nicht, nebenbei gesagt.

Mit seinem Rückzug ist Michael Freytag einer drohenden politischen Entmachtung auf dem Landesparteitag Ende Juni zuvorgekommen. Er geht erhobenen Hauptes.