Im Dauerwinter verenden viele Vögel, weil sie nichts zu fressen finden. In ihrer Not betteln sie sogar fahrende Autos an. “Schwanenvater“ Olaf Nieß fängt immer mehr geschwächte Tiere und päppelt sie gemeinsam mit den Alsterschwänen auf.

Der harte Winter fordert seine Opfer - auch unter Hamburgs wilden Höckerschwänen. Olaf Nieß (42), Jagdreviermeister und in der Hansestadt als "Schwanenvater" bekannt, ist alarmiert: Fast zehn verhungerte Schwäne haben Passanten und er selbst schon gefunden, berichtet Nieß, die Dunkelziffer toter Tiere liege vermutlich weit höher. Zudem warnt Nieß vor ausgezehrten Schwänen, die auf der Suche nach Nahrung und wegen hungerbedingter Verwirrtheit - besonders in den Vier- und Marschlanden - auf fahrende Autos zuliefen.

"Wegen der dichten Frostdecke finden die Tiere einfach nichts zu fressen", sagt Olaf Nieß und ergänzt: "Da auch der Schnee teils überfroren ist, können die Vögel oft selbst hieraus noch nicht einmal etwas zu trinken gewinnen." Diese Nahrungsmittelknappheit hat für die Schwäne dramatische Folgen: Teilweise haben sie schon über 60 Prozent ihres Eigengewichts verloren - eine lebensgefährliche Zwangsdiät also. "Um zu überleben, suchen die Schwäne irgendwann selbst an den unmöglichsten Stellen nach Futter", sagt Olaf Nieß, "sogar auf befahrenen Straßen, wo sie quasi die Autos anbetteln." Was nicht nur für die Schwäne selbst, sondern auch für die betroffenen Autofahrer schnell gefährlich werden kann - denn ein ausgewachsener Höckerschwan bringt es auf durchaus stattliche Maße, wie Olaf Nieß erläutert: "Der Höckerschwan kann eine Flügelspannweite von bis zu 220 Zentimetern und ein Gewicht von teils deutlich mehr als zehn Kilo erreichen. Er ist damit in Mitteleuropa der größte heimische Wasservogel und gehört zu den schwersten flugfähigen Vögeln weltweit."

Nieß erklärt das eigentlich unnatürliche Verhalten mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wahn: "Die Tiere sind oft schon völlig apathisch, torkeln nur noch so durch die Gegend und haben jegliche Scheu verloren."

Deswegen rettet Olaf Nieß, der sich im Winter hauptsächlich um die stadteigenen Hamburger Alsterschwäne in deren sicherem Winterquartier kümmert, nun auch die Wildschwäne: "Ich bin täglich dabei, diese Tiere einzufangen und zu versorgen, um sie vor dem sicheren Hungertod zu retten. Mehr als 40 Vögel habe ich schon geschnappt." Nieß' Erste-Hilfe-Maßnahmen sehen so aus: Er päppelt die Tiere im Winterquartier mit speziellem Kraftfutter und Wärmelampen wieder auf und behält sie bis zum Frühling gemeinsam mit den rund 120 Alsterschwänen in seiner Obhut.

Draußen in der freien Natur droht den wilden Höckerschwänen trotz des einsetzenden Tauwetters noch immer der Hungertod. "Der Frost", sagt Olaf Nieß, "wird den Boden noch länger im Griff haben und ihn damit als Vogelfutter-Grube verschlossen halten. An ihre Nahrung - Pflanzen und Körner - kommen die Schwäne deshalb auch mittelfristig nicht heran."

Trotzdem: Von privaten Fütterungsaktionen rät Nieß dringend ab. "Die Schwäne dürften kaum an ausgelegtes Futter gehen. Sie flüchten eher vor Menschen, die sich ihnen nähern", sagt Nieß und fügt hinzu: "Das würde ihre sowieso schon so gut wie aufgebrauchten Kräfte dann vollends zunichte machen." Auch Spenden benötigt Nieß nicht: "Wir vom Umweltamt Nord sind materiell gut versorgt", sagt er und rät: "Wer einen geschwächten Schwan sichtet, sollte die Feuerwehr verständigen." Der Bestand der wilden Höckerschwäne liegt in Hamburg bei 600 bis 800 Tieren. Jeden Winter sterben einige von ihnen. "Diese winterliche Bestandsdezimierung ist ganz normal", sagt Olaf Nieß. Durch den in diesem Jahr außergewöhnlich harten Winter befürchtet Nieß allerdings besonders deutliche Einbußen: "Aktuell sterben nicht nur ohnehin geschwächte, sondern auch völlig gesunde Tiere." Der Schwanenvater ergänzt: "Zwar ist die Population in Hamburg recht stabil. Allerdings befindet sie sich europaweit in einem kritischen Bereich. Deshalb will ich um jedes einzelne Tier kämpfen."