Sie sind gegen Wohnungsbau, um einen Wald zu retten. Sie wollen kein Container-Terminal. Immer mehr Hamburger gehen gegen Projekte vor.

Hamburg. In Iserbrook sammeln Anwohner Unterschriften gegen ein Mietwohnungsprojekt in der Nachbarschaft; vom feinen Elbhang kommt Protest gegen den Ausbau des Eurogate-Container-Terminals: nur zwei Beispiele von vielen Bürgerprotesten in Hamburg. Sichtlich genervt hat Bürgermeister Ole von Beust (CDU) nun eine Debatte in der Stadt über die Frage angestoßen, ob sich in der Hansestadt zunehmend Partikularinteressen gegen das Allgemeinwohl durchsetzen. Mit Blick auf die Initiative gegen den Terminal-Ausbau sprach von Beust in seiner Rede vor dem CDU-Wirtschaftsrat (wir berichteten gestern) deutliche Worte: "Früher hätte man gesagt: Ihr habt ein Rad ab. Ihr wendet euch gegen den Wohlstand, von dem ihr lebt."

Beifall dürfte er dafür von Hamburgs Bezirksamtleitern bekommen. Zwar ist das erfolgreiche Volksbegehren gegen die Schulreform derzeit eines der größten Probleme, die der schwarz-grüne Senat mit direkter Bürgerbeteiligung hat. Doch viele Protest-Initiativen entwickeln sich vor Ort eben zunächst in Bürgerbegehren und schließlich bei Erfolg in Bürgerentscheide, die für die Verwaltung bindend sind wie die Beschlüsse einer Bezirkversammlung.

Seit Einführung dieser Bürgerbeteiligung vor zehn Jahren hat es etwa 80 solcher Bürgerbegehren gegeben. Auffällig oft ist Wandsbek betroffen: Zum einen ist der Bezirk der einwohnerstärkste Hamburgs, dort lebt aber auch Manfred Schult, der allein fünf (erfolgreiche) Begehren initiiert hat - darunter das für mehr Polizeipräsenz in Volksdorf. "Ich gelte als kleinste und wirkungsvollste Partei Hamburgs", sagt er selbst. Und: "Bürgerbegehren sind unser gutes Recht und schließlich auch Gesetz. Einzelinteressen stehen nicht im Vordergrund, solange Vernünftiges erreicht wird. Die Beispiele aus Wandsbek zeigen, wie eine ganze Region aufsteht."

Auch Philip Cramer, Mitinitiator des Bürgerentscheids gegen die Bebauung des Buchhofwaldes in Iserbrook, wehrt sich gegen den Bürgermeister-Vorwurf, es gehe ihm nur um Partikularinteressen: Es seien oft grundsätzliche Dinge, die die Bürger aufwühlen, sagt er. "Wir wollen nur, dass das Baurecht, das die Politik aufgestellt, auch korrekt beachtet wird." Man müsse die Bürger nur rechtzeitig einbeziehen, dann gebe es auch nicht solche Proteste. Doch auch seit der Regierungsübernahme durch den schwarz-grünen Senat im Frühjahr 2008 haben sich Initiativen immer wieder zu formalen Bürgerbegehren entwickelt.

Ein Überblick:

1. "Rettet die Emil-Andresen-Straße". Am 14. Januar wurden 8000 Unterschriften eingereicht. Die Eimsbütteler Initiative will dort 30 Ahornbäume retten. Das dauert bis zum Ende des Monats. 5750 gültige Unterschriften müssen nach Auskunft des Bezirksamts Eimsbüttel zusammenkommen. Danach folgt die rechtliche Zulassungsprüfung.

2. Das Begehren "Rettung des Bürgerwillens in Eimsbüttel" ist die Weiterführung des Begehrens für den Erhalt des Grünzuges am Isebekkanal unter neuem Titel. Hier ist das die erste Hürde (Drittel-Quorum) und damit eine erste Sperre erreicht. Ziel: "Tricks" unmöglich machen, mit denen die Verwaltung angeblich einen Bürgerentscheid verhindern wolle.

3. In Wandsbek läuft seit September 2009 das Begehren "Keine Fachklinik für Rehabilitation und Eingliederungshilfe Drogenkranker am Standort Schädlerstraße". 6300 Unterschriften sind nötig.

4. Beendet in Wandsbek ist das Bürgerbegehren für den Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen auf dem Hinsenfeld, weil das Begehren nach einem Kompromiss zurückgezogen wurde.

5. Gleich zwei Bürgerentscheide zur geplanten Ikea-Ansiedelung in Altona sind auf dem Weg (siehe nebenstehenden Text).

6. Für eine Bebauung mit rund 66 Wohnungen in Iserbrook soll eine Reihe von alten Bäumen gefällt werden. Bürger fordern den Erhalt des Buchenhofwaldes an der Osdorfer Landstraße. Bei einem Bürgerentscheid unterstützen sie rund 40.000 Bürger in Altona. Weil aber schon eine Baugenehmigung vorliegt, wird der Senat voraussichtlich die Entscheidung an sich ziehen (evozieren).

7. Das Bürgerbegehren zum Erhalt der Bücherhalle von Iserbrook hat die Bezirksversammlung übernommen. Was ohne Auswirkung ist, weil ein Bezirk über Bücherhallen gar nicht entscheiden kann.

8. Das Bürgerbegehren PRO Blankenese gegen Kreisel und Tiefgarage im Ortszentrum wurde durch die Bezirksversammlung übernommen.

9. Erfolgreich war das Bürgerbegehren gegen den Verkauf von Kleingärten zur Finanzierung des A-7-Deckels. Die Stadtentwicklungsbehörde hat daher die Entscheidung übernommen und das Begehren so gestoppt.

10. Das Bürgerbegehren gegen die Bebauung der Elfenwiese in Marmstorf ist erfolgreich: Die Initiatoren und die Bezirkspolitik einigten sich jetzt auf einen Aufschub der Pläne.