Zum Start ins neue Jahrzehnt blickt das Abendblatt auf den “Bürger 2020“. Anstoß gab Chefredakteur Claus Strunz auf dem Neujahrsempfang.

Hamburg. Was erwartet die Bürger im Jahr 2020? Was dürfen sie von der sich verändernden Welt erwarten und was wird vielleicht von ihnen erwartet? Eine abschließende Antwort auf diese Fragen kann ich Ihnen ebenso wenig geben wie jeder andere. Denn die Gesellschaft der Zukunft entsteht - gottlob - nicht am Reißbrett. Nicht staatliche Zehnjahrespläne bestimmen darüber, wie wir in zehn Jahren leben werden, sondern die Kreativität und Schaffenskraft der Menschen. Im Mittelpunkt langfristig angelegter Politik stehen deshalb keine abstrakten Zielvorgaben, sondern die Erwartungen, Hoffnungen und manchmal auch die Zukunftssorgen der Bürger.

Die aktuelle Wirtschaftskrise hat ein außergewöhnliches Engagement des Staates erforderlich gemacht. Sie ist bei Weitem noch nicht überwunden. Aber sie darf nicht dafür missbraucht werden, den Staatseinfluss auf die Wirtschaft dauerhaft auszudehnen. Vielmehr gilt es, die Freiheit der Bürger und der Wirtschaft zu stärken und auf eine stabile Grundlage zu stellen. Es bedarf einer konsequenten Reformstrategie, die auf private Initiative und Eigenverantwortung setzt und damit auch die soziale Verantwortung stärkt. Diesem Leitmotiv folgend kann unser Land die dringenden Herausforderungen der nächsten zehn Jahre bewältigen.

Reichtum für alle wird es auch im Jahr 2020 nicht geben. Aber alle haben die Möglichkeit, zu Wohlstand zu kommen, denn die Chancen sind gerecht verteilt. 2020 kann jeder noch besser als heute seine persönlichen Talente entwickeln und sich am Markt beweisen. Unabhängig von Herkunft oder sozialem Status steht allen Menschen in Deutschland die Perspektive auf einen sozialen Aufstieg offen.

Im Jahr 2020 haben die jungen Menschen einen erfolgreichen Start ins Berufsleben. Der Schlüssel dazu liegt im Bildungssystem. Wir haben den Schock der PISA-Studie konstruktiv verarbeitet und alle Schulzweige konsequent auf die Erfordernisse der modernen Arbeitswelt ausgerichtet. Eine besondere Rolle kommt dabei bereits der frühkindlichen Bildung zu: Kein einziges Kind verliert mehr allein aufgrund seiner Herkunft von Anfang an den Anschluss.

Doch Bildung endet im Jahr 2020 nicht mehr Ende des Schulgeländes. Weil sich in unserer globalisierten Welt die Anforderungen an die Qualifikationen der Beschäftigten immer schneller ändern, ist gerade im Hochleistungsland Deutschland permanente Aus- und Weiterbildung längst eine gelebte Selbstverständlichkeit.

Der Arbeitsmarkt des Jahres 2020 ist flexibel. Einstellungshindernisse, die es ausgerechnet den Menschen, die am dringendsten nach Arbeit suchten, schwierig machten, eine Stelle zu finden, gehören der Vergangenheit an. Gleiches gilt für den Schritt in die Selbstständigkeit: Wer eine gute Idee hat und sich etwas traut, der legt los. Er trifft nicht länger auf bürokratische Hürden, sondern findet für seinen Unternehmergeist und Mut gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung.

Im Jahr 2020 wollen die Bürger die hervorragende Infrastruktur in Deutschland nicht missen. Auch die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen ist vorbildlich. Die staatlichen Aufgaben müssen indes finanziert werden - und machen wir uns nichts vor, auch in Zukunft zahlen die wenigsten freudestrahlend Steuern.

Aber die Bürger akzeptieren ihre Steuerlast, denn das Steuersystem ist einfach, gerecht und nachvollziehbar. Die Steuererklärung passt zwar nicht auf einen Bierdeckel, aber problemlos auf ein DIN-A4-Blatt. Tüchtige Bürger werden nicht länger demotiviert, denn der Tarifverlauf genügt dem Gebot der Leistungsgerechtigkeit.

Die Verwaltung ist schlank und effizient. Sie konzentriert sich auf ihre eigentlichen Aufgaben und geht mit dem Geld der Bürger sparsam um. Die Ausgaben des Staates sind für jeden transparent. Deswegen herrscht Klarheit darüber, wie viel Geld für die Erfüllung welcher staatlichen Aufgabe ausgegeben wird. Weil die Bürger sehen, dass ihre Steuermittel sinnvoll eingesetzt werden, ist die Steuermoral hoch. Die Schwarzarbeit ist erheblich gesunken. Denn wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stimmt, dann stimmt auch das Verhältnis von Brutto und Netto im Geldbeutel.

Im Jahre 2020 leben in Deutschland circa drei Millionen Menschen weniger als heute. Die Lebenserwartung ist glücklicherweise gestiegen, und die Gesellschaft altert milde. Der Durchschnittsbürger ist deshalb statistisch gesehen etwas reifer als noch 2010. Durch eine "Kultur des lebenslangen Lernens" profitieren alle von dem reichen Schatz an Erfahrungen und Qualifikationen, den die älteren Menschen mitbringen.

Auch die Wirtschaft hat sich auf den demografischen Wandel eingestellt. Sie hat quer über alle Branchen erfolgreich eine Vielzahl Produkte für die aktive "Silver-Generation" auf den Markt gebracht. Vor allem die Gesundheitswirtschaft hat sich dabei mit einer Vielzahl von individuellen Angeboten als wahre Jobmaschine erwiesen.

Die Sozialversicherungssysteme sind zukunftsfest, denn sie wurden auf die richtige Mischung aus Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren umgestellt. Der Generationenvertrag hält: Wer sein ganzes Leben lang in die Kassen einbezahlt hat, der erhält auch die vollen Versicherungsleistungen. Die jüngeren Beitragszahler werden dabei nicht über Gebühr belastet, denn versicherungsfremde Leistungen werden schon lange nicht mehr aus Beitragsmitteln finanziert.

Medizinische Versorgung der Spitzenklasse ist 2020 für jedermann bezahlbar. Mutige Strukturreformen haben im Gesundheitswesen einen fairen Wettbewerb ermöglicht. So konnten enorme Effizienzpotenziale gehoben werden. Ärzte und Patienten profitieren deshalb gleichermaßen von einer Vielzahl individueller Angebote.

Fahren wir im Jahr 2020 im Elektroauto zur Arbeit? Kaufen vielleicht unsere Kühlschränke für uns ein? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen genau, wer es zu entscheiden hat: keine dirigistische Bürokratie, sondern der mündige Bürger selbst.