Die Juristen zählten bereits im Oktober rund 3200 rechtliche Vorgänge, die im Jahr 2009 eingereicht wurden. Tendenz steigend.

Hamburg. Die Zahl der Klagen gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV vor dem Sozialgericht in Hamburg ist im Jahr 2009 deutlich angestiegen. Waren im Jahr 2008 noch 3395 Klagen und Eilanträge am Gericht eingegangen, zählten die Juristen bereits im Oktober rund 3200 rechtliche Vorgänge, die im Jahr 2009 eingereicht wurden. "Wir rechnen mit einem Anstieg um rund zehn Prozent, verglichen mit dem Jahr zuvor", sagte Thomas Brandes, Sozialgerichtssprecher, dem Abendblatt auf Anfrage.

Häufigster Streitpunkt: In welcher Höhe bezahlt der Staat anfallende Mieten? Laut Gesetz ist der Anspruch auf "angemessene" Unterkunftskosten begrenzt. Diese Definition stimmt jedoch meist nicht mit tatsächlich anfallenden Kosten überein. Zudem verwirre die Abrechung von Nebenkosten - etwa für Heizung oder Wasser. Platz zwei: Erstattung der Kosten für eine Renovierung der Wohnung, aber auch Ersatz von "Einrichtungsgegenständen." Auf Platz drei folgen Rechtsstreitigkeiten über die Abrechnung von Einkommen, besonders bei Leistungsempfängern, die freiberuflich tätig sind. Häufig sind ebenfalls (Platz vier) Klagen, die sich um vorhandene Vermögen der Leistungsempfänger drehen. Bereits auf Platz fünf stehen Klagen und Eilanträge auf "ernährungsbedingte Mehrbedarfe" - in diesen Fällen erhalten die Empfänger nach eigenen Angaben zu wenig Unterstützung, um benötigte Lebensmittel einzukaufen.

Offensichtlich sind viele der Hartz-IV-Normen kaum eindeutig - und lassen Spielraum für juristische Auseinandersetzungen. Gerichtssprecher Thomas Brandes beurteilt die Lage jedoch gelassen. Es sei "praktisch nicht möglich, einen Lebenssachverhalt in einer Norm so konkret abzubilden, dass alle aufkommenden Fragen unmittelbar durch die Norm geklärt werden." Der resultierende Arbeitsaufwand sei zwar hoch, könne jedoch mit "Bordmitteln" des Gerichts bewältigt werden. Das bedeutet: Personal aus weniger beanspruchten Abteilungen kümmert sich ebenfalls um Hartz-IV-Fälle.

Damit unterscheidet sich die Situation in Hamburg offenbar deutlich vom Chaos in Berlin. Dort gingen im Jahr 2009 mehr als 25 000 Klagen ein - im Jahr 2005 waren es noch 7000. In der Hauptstadt fordern Richter schon lange von der Bundesagentur für Arbeit, klarere Regelungen zu erlassen. "Viele Bescheide werfen mehr Fragen auf, als sie lösen", sagte kürzlich ein Berliner Gerichtssprecher. Der Hauptstreitpunkt ist in Berlin und Hamburg indes identisch: die Erstattung der Unterkunftskosten.