Im Deutschlandhaus entstand 1929 mit 2667 Plätzen Europas größtes Kino. Das Lichtspieltheater spiegelt die Entwicklung des Kinos wider.

Hamburg. Es war Ende der 1920er-Jahre, als in der ganzen Stadt Lichtspieltheater entstanden. Als fast über Nacht neue Großkinos in den bevölkerungsreichsten Stadtteilen eröffnet wurden, wie in Barmbek, Hammerbrook, Wandsbek, Nord, auf der Uhlenhorst und in Hamm. Diese Expansionswelle vieler Konkurrenten konnte und wollte der nationale Filmkonzern Ufa (Universum-Film AG) in Berlin nicht tatenlos mit ansehen. Und so begann er, ein eigenes Großkino in Hamburg zu planen.

Bei der Standortfrage fiel das Augenmerk auf den Innenhof eines neuen Bürokomplexes am Valentinskamp. Auch wenn nicht unweit von hier bereits ein Kino des Unternehmens stand (das Lessing-Theater am Gänsemarkt), konnte die Ufa wohl der Verlockung nicht widerstehen, mit diesem ehrgeizigen Projekt der Konkurrenz eins auszuwischen. Zudem musste sich die Firma nicht an den Baukosten für den Komplex beteiligen und lediglich 100 000 Reichsmark für die Innenausstattung zahlen.

So kam die Ufa zu dem stolzen Flaggschiff ihrer Kinoflotte. Der Ufa-Palast Hamburg war nämlich mit 2667 Plätzen das bis dahin größte Kino Europas. Und das stand nun nicht in der Filmmetropole Berlin, sondern in der eigentlichen Kinoprovinz Hamburg. "Der Ufa-Palast hatte ein modernes Konzept - heute würde man das Entertainment-Center nennen", sagt der Kinoexperte und Buchautor Michael Töteberg (51). Denn die Räume waren nicht nur prunkvoll ausgestattet, sondern auch technisch auf dem neuesten Stand. Zudem wurden gleich ein versenkbarer Orchestergraben eingebaut und eine richtige Bühne, deren Ausmaße die mancher konventioneller Schauspielhäuser übertraf. Die große Eröffnung wurde am 21. Dezember 1929 gefeiert.

Aber nicht nur Kinofilme wurden in den folgenden Jahren in dem Prunkbau gezeigt. "Es gab eine Bühnenshow vor jedem Film auf der 20 Meter tiefen Bühne, mit Sketchen und Akrobatik, und es kam auch schon einmal ein Heldentenor von der Staatsoper vorbei", erzählt Töteberg. Das habe es in Hamburg in der Größe nur dort gegeben. "Zur Dom-Saison bauten sie sogar einen kleinen Rummelplatz auf der Bühne auf." Trotzdem war es nicht leicht, die 2667 Plätze jeden Abend zu füllen. In der Anfangszeit des Tonfilms wurden die Streifen deshalb nur zwei Wochen lang gespielt. Danach wanderten sie zumeist in andere Ufa-Kinos in den Stadtteilen. Und für den großen Palast mussten immer neue Kassenschlager nachproduziert werden.

Wie im Theater gab es auch im Ufa-Palast eine Sommerpause und eine Neueröffnung zu Beginn der Saison. Töteberg: "Man bemühte sich um eine Gleichsetzung mit Oper und Theater." Auch was den Service anging: Es gab ein Programmheft für jeden Film, im Haus wartete ein kaltes Büfett auf die Gäste, und der Besucherservice erfüllte alle Wünsche. "Ein Gast konnte zum Beispiel vor der Vorstellung anmelden, dass er einen wichtigen Anruf erwartete. Kam dieser, wurde er dann aus dem Film herausgerufen."

Die Bombardements des Zweiten Weltkrieges sollte der Kinopalast allerdings nicht überleben. Dabei fiel das Kino nicht einem der groß angelegten Angriffe zum Opfer, sondern am 18. Juni 1944 einem Einzeltreffer, der Bühne und Zuschauerraum vollkommen ausbrennen ließ. "Im Foyer wurde ein Behelfskino eingerichtet, sodass der Betrieb weiterlaufen konnte", sagt Töteberg über die letzten Kriegsmonate. Am 3. Mai 1945 marschierten die britischen Truppen in Hamburg ein, die Kinos blieben verschlossen und wurden beschlagnahmt. "Sie nannten das Haus in "Hamburg House" um, räumten den Innenhof mit dem Kino aus und richteten einen Billardsaal ein", sagt Töteberg.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die riesigen Kinos mit mehr als 2000 Plätzen nicht mehr gefragt. Überall entstanden Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre kleinere Lichtspielhäuser mit 600 bis 800 Plätzen. Erst 1958 bekam die Hansestadt wieder einen Ufa-Palast. Da der alte Standort noch bis 1962 in englischer Hand war, beschloss das Unternehmen, am Gänsemarkt neu zu bauen - ein Kino mit immerhin 988 Plätzen.

Die Eröffnung am 26. Februar 1958 brachte trotz des Eises und Schneegestöbers 8000 Fans auf die Beine. "Schließlich war Romy Schneider einer der berühmten Premierengäste", sagt Töteberg. Im Abendblatt war am nächsten Tag von einem "Belagerungszustand am Gänsemarkt" zu lesen, so dicht war das Gedränge.

Diese glanzvolle Premiere fiel allerdings in die letzten Jahre, in denen ein Kinobesuch fester Bestandteil der Freizeitplanung war. Denn schon bald, mit dem Einzug des Fernsehers in die deutschen Wohnzimmer, ging es bergab mit den Besucherzahlen. Auch in Hamburg begannen die Kinos, um ihre Zuschauer zu kämpfen.

In den 80er-Jahren kam den Kinomachern dann die rettende Idee: "Um Zuschauer zu gewinnen, wurden Kinos größer, lauter, einfach auffälliger", sagt Töteberg. Die Multiplex-Kinos entstanden und damit auch die Konkurrenz der großen Konzerne. Ufa baute das Kino am Gänsemarkt neu, um gegen das Cinemaxx am Dammtor bestehen zu können. Wieder einmal wurde der neue Ufa-Palast mit 3200 Plätzen zum größten Kino Hamburgs.

Doch auch dieser Neubau konnte die Rückgänge nicht aufhalten. Ufa musste schließlich Insolvenz anmelden. Und damit stand auch die Existenz des großen Kinos am Gänsemarkt auf dem Spiel. Ein Spiel, das mit der endgültigen Schließung 2006 verloren ging. Bereits wenig später rissen Bagger das Gebäude ab. Und demontierten damit eine Ära, die knapp 80 Jahre zuvor in der Hansestadt begonnen hatte. "An dem Haus ist der Wandel des Kinos wunderbar abzulesen", sagt Töteberg.

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