Als die Bilder laufen lernten - wie entstanden eigentlich die ersten Kinos? Über die Blütezeit der Filmpaläste und ihren Abstieg sprach Abendblatt-Redakteurin Claudia Sewig mit Michael Töteberg (51), Autor von "Das Hamburger Kinobuch" und Mitglied des Vereins "Film- und Fernsehmuseum Hamburg".

Hamburger Abendblatt:

Kinos waren nicht immer die großen Komplexe, wie wir sie heute zumeist kennen. Wie fing das ursprünglich an?

Michael Töteberg:

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, mit kleinen Kneipenkinos. In vielen Gaststätten wurden damals die neu entwickelten Kinematografen angeschafft, die 'lebende Photographien' zeigten. Das waren ganz kurze Filme, von denen mehrere zu einem Programm zusammengestellt wurden.

Abendblatt:

Mit welchem Anspruch?

Töteberg:

Dem der reinen Unterhaltung. Das waren meist lustige Filmchen, die auch in kleinen Buden auf dem Dom oder auf St. Pauli, zum Beispiel im Knopf's am Spielbudenplatz, gezeigt wurden. Erst in den 20er-Jahren wurde Kino vornehmer. Da begann man, richtige Theater zu imitieren, mit Vorhang, Bühne, Platzanweisern und Programmen. So entstanden die ersten Großkinos.

Abendblatt:

Wie der Ufa-Palast im Deutschlandhaus, Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp?

Töteberg:

Genau. Die Ufa hatte am Gänsemarkt vorher schon das Lessing-Theater. Als Oberbaudirektor Fritz Schumacher die Dammtorstraße vom Nadelöhr zu einer breiten Straße ausbauen ließ und das Deutschlandhaus gebaut wurde, schlug die Ufa zu. Eigentlich eine Kuriosität: Die Firma mit Sitz in Berlin baute ihr und zugleich Europas größtes Kino in Hamburg.

Abendblatt:

Weil Hamburg damals als Kino-Hauptstadt galt?

Töteberg:

Nein, da war und ist die Szene in Berlin reichhaltiger. Es war einfach die Zeit des Kinobooms. Der Ufa-Palast wurde das Flaggschiff des Konzerns.

Abendblatt:

Und in dieses strömten die Menschen selbst im Zweiten Weltkrieg.

Töteberg:

Mit Kriegsbeginn stiegen die Besucherzahlen sogar noch an. Kino hatte immer etwas mit Flucht aus dem Alltag zu tun. So kamen selbst bei Fliegerangriffen die Leute ins Kino. Gespielt wurde wirklich bis zum letzten Tag.

Abendblatt:

Wie ging es nach dem Krieg weiter mit dem Kinogeschäft? Bedeuteten Wiederaufbau und wirtschaftlicher Aufschwung auch gleichzeitig den Ausbau der Branche?

Töteberg:

Bis Mitte der 50er-Jahre ja. 1956 war das absolute Kino-Rekordjahr: 37,5 Millionen Besucher wurden in Hamburg gezählt. Ende 1957 gab es in der Stadt 174 Filmtheater mit mehr als 90 000 Sitzplätzen.

Abendblatt:

Und danach?

Töteberg:

Setzte sich das Fernsehen durch, und das Kinosterben begann. Die Qualität der Kinoproduktionen ließ nach, und was da noch lief, konnte das Fernsehen schnell auch bieten. Der Kino-Tiefpunkt war in den 70er-Jahren erreicht, da war es wirklich trostlos, mit Schmuddelsex-Filmchen.

Abendblatt:

Also musste etwas Neues her, was das Fernsehen nicht ersetzen konnte.

Töteberg:

Richtig. Und so begann 1990 das neue Kino-Zeitalter, mit der Eröffnung des ersten Multiplex-Kinos in Deutschland. Damit begann auch der Wettlauf der großen Konzerne, Cinemaxx gegen Ufa.

Abendblatt:

Aber das Programm dieser Kino-Riesen war doch im Prinzip gleich?

Töteberg:

Cinemaxx bot schon ein wenig mehr. In den Anfangsjahren wurde dort vor den Filmen eine Lasershow gezeigt - das war schon fast eine Wiederaufnahme des alten Ufa-Palast-Konzepts. Dazu kam dann eine völlig neue Bild- und Soundqualität der Filme.

Abendblatt:

Doch auch das scheint sich bereits wieder überholt zu haben.

Töteberg:

Heute verfügt jeder über eine gute DVD-Anlage mit riesigem Bildschirm und guten Lautsprechern. Und fast jeden Film gibt es ein paar Monate, nachdem er im Kino gelaufen ist, bereits auf DVD.

Abendblatt:

Wie sehen Sie also die Zukunft des Kinos?

Töteberg:

Kinos werden zukünftig wieder mehr bieten müssen. Das gewisse Extra. Wie zum Beispiel das Abaton, das jede Woche Veranstaltungen rund um die Filme anbietet. Wo nicht nur Stars auf dem roten Teppich grüßen, sondern ein klug zusammengestelltes Programm geboten wird. Das ist die Zukunft. Kino im herkömmlichen Sinn, das haben die Leute heute zu Hause.