Wenn heute am späten Nachmittag die "Recht auf Stadt"-Demonstration beginnt, dann ist das auch eine kleine Siegesfeier. Denn mit der Entscheidung zum Gängeviertel steht ein neuer Weg offen, der erst mal keine Rückschritte zulässt. Das Thema "Recht auf Stadt" ist in derselben angekommen. Drei Wörter, die im Sommer noch so harmlos als handbemaltes Stückchen Stoff am Gängeviertel flatterten, haben Druckqualität erreicht. Sie machen Druck auf Senat und Behörden und stehen heute auf gedruckten Plakaten in Hamburg.

Was ist passiert in dieser Stadt? Warum schaffen wenige junge Künstler das? Warum haben sie Erfolg?

Beginnen wir bei der Suche nach einer Antwort mit dem Blick auf Fehler. Am 17. Februar 2006 druckte das Abendblatt eine Zeichnung, die einen Glaspalast zeigte, der auf dem Domplatz gebaut werden sollte. Doch es war das falsche Bild, eine Verwechslung. Das richtige Bild hätte einen anderen Glaspalast gezeigt. Bezeichnend: Gemerkt hat kaum einer den Fehler. Denn die zwei Glaspaläste waren so verwechselbar wie zwei Stück Zucker. Dann starb das Projekt Domplatzbebauung mit Glaspalast. Und alle merkten es. Genauso wie andere Fehler: Am 23. Februar 2009 ließen Politiker von einem Tag auf den anderen die Ortskern-Planung Blankenese sterben. Weil die Politiker die Erkenntnis gewonnen hatten, "nicht alle relevanten Gruppen" beachtet zu haben. Ein Fehler, der einer Bankrotterklärung gleichkommt. Was legitimiert Politik mehr als die "Beachtung relevanter Gruppen"?

Am 11. Dezember 2009 ließ die Bezirksversammlung Wandsbek Hamburgs zweitgrößten Wohnungsbauplan sterben, weil man beim Amt einen katastrophalen Rechenfehler begangen hatte und das Projekt nicht finanzierbar ist.

Alle verworfenen Pläne haben eines gemein: Dafür sind diejenigen verantwortlich, die von denjenigen gewählt wurden, die in dieser Stadt leben. Die hier in Hamburg ein Recht auf ihre Stadt haben.

Im März 2009 bewegte sich etwas. Junge Menschen - Künstler, Protestler, Aktivisten - entwickelten eine Idee. Sie nutzten etwas, mit dem Politik hier nicht rechnet: das Internet. Die Akteure vernetzten sich dutzendfach und bastelten hochprofessionell an einer Strategie, die ein Stadtgefühl aufnimmt, die darauf setzt, dass die Bürger ein Gedächtnis auch für Fehler haben. Die Künstler verwandelten die gefühlte Wirklichkeit in Bewusstsein. Die Bürger sahen mit eigenen Augen, dass die Politiker den kläglichen Rest von original Alt-Hamburg fast vollständig abreißen wollten.

Und plötzlich explodierte ein Thema, das es so eigentlich gar nicht gegeben hatte. Ehemals sterbenslangweilige Diskussionsrunden kochten über. Und auch die Architekten, die sich so gern mit Kritik zurückhalten, zeigten auf Fehler, die nun plötzlich jeder in der Stadt sehen kann. Übervoll war eine Podiumsdiskussion in der vergangenen Woche zum Thema Baukultur, als Oberbaudirektor Jörn Walter und Bezirksamtsleiter Markus Schreiber der Wind sehr heftig ins Gesicht blies. Als plötzlich den Stadtoberen ein Fehler-Katalog unter die Nase gehalten wurde.

Der Vizepräsident der Hamburgischen Architektenkammer, Henning Bieger, sagte: "Wir brauchen in dieser Stadt einen baukulturellen Diskurs über alle wichtigen Projekte, auch über die Projekte auf dem Spiegelgrundstück oder bei St. Katharinen. Diese Diskussion hat nicht stattgefunden. Wir brauchen die öffentliche Diskussion; wir müssen abwägen und nachdenken, die Stadtgesellschaft muss mitgenommen werden."

Das ist nichts anderes als die Forderung nach "Recht auf Stadt".

Auch Architekturkritiker Gert Kähler übte heftige Kritik: "Die Innenstadt verändert sich in atemberaubendem Maße und Geschwindigkeit. Grundsätzlich ist gegen Veränderung, Verdichtung, Schaffung von Wohnraum in der Stadt nichts einzuwenden. Sie vollzieht sich aber, soweit man es von außen erkennt, nur nach Maßgabe der Ökonomie."

Auch Kähler vermisst ein "erkennbares und mit den Bürgern diskutiertes Konzept", das zeigen soll: So soll unsere Innenstadt aussehen.

Es ist die Diskussion, die die Künstler aus der City hinaus in die ganze Stadt getragen wurde. Doch Kähler geht weiter und sagt: "Das, was der Oberbaudirektor als Konzept versteht, spielt auf einer anderen Ebene - es ist der Unterschied zwischen Stadtplanung und Städtebau. Denn die öffentliche Erregung ist daraus entstanden, dass die Menschen ,ihre' Stadt nicht mehr wiedererkennen. Und damit sie die - notwendige! - Veränderung verkraften, muss man sie mitnehmen."

Die Forderung nach "Recht auf Stadt" geht weiter. "Es geht auch um die soziale Stadt um soziale Erhaltensverordnungen mit denen zum Beispiel Mieten festgeschrieben werden", sagt beispielhaft Studentin Hanna Kowalski.